Nach einer Vorlage und unterlegt mit einem Kommentar des nach England emigrierten Publizisten Robert Neumann. – Der »meistfotografierte, meistgefilmte Mann der Geschichte« und sein verbrecherisches politisches Wirken, dargestellt in Filmdokumenten und Fotografien, mit Originaltönen und Zitaten. Die Montage vornehmlich von Wochenschau-Aufnahmen aus Archiven in zwölf Ländern referiert die Geschichte der Weimarer Republik und den Aufstieg Hitlers mit Unterstützung der Industrie und des Militärs. Sie erinnert an dessen Opfer und den Massenmord an den europäischen Juden, schildert den Weg in den Krieg, erleichtert auch durch Versäumnisse des Westens, und die Niederlage nach dem Vormarsch der Alliierten. Besondere Würdigung finden der deutsche Widerstand wie auch die Befreiung der Konzentrationslager bei Kriegsende. Private Aufnahmen dienen zur Charakterisierung Hitlers, im Mittelpunkt aber stehen dessen öffentliche Auftritte. akzentuiert durch eine schmissige Bigband-Orchestrierung des »Stahlnetz«-Komponisten Siegfried Franz.
Das Schlagwort von der unbewältigten Vergangenheit ist heute nahezu in Vergessenheit geraten. Dieser Film gibt Veranlassung, es wieder aus der Versenkung zu holen: Endlich ist hier der Versuch unternommen, die deutsche Vergangenheit zu bewältigen. Den Autoren dieses Films gebührt für ihren Wagemut Lob und Dank – ganz gleich, ob man ihrer Argumentation nun immer zustimmt oder nicht.
Initiator des Films ist Walter Koppel, Chef der Real-Film-Produktion. Das Buch schrieben seine Frau Helga Koppel und Robert Neumann (»Mit fremden Federn«), beraten von Helmut Heiber vom Münchner Institut für Zeitgeschichte. Mit der Regie wurde der profilierte Kritiker, Essayist und Dokumentarfilmmann Paul Rotha aus London beauftragt. Dieses Autorenkollegium machte seinen Film ausschließlich aus Dokumentaraufnahmen, aber es machte keinen Dokumentarfilm im landläufigen Sinne. DAS LEBEN VON ADOLF HITLER ist keine Materialsammlung, sondern pointierter Essay, scharfzüngiges Pamphlet, provozierende These. Die Autoren formulierten zuerst ihre Ideen und suchten danach erst nach Material und Belegen. Damit unterscheiden sie sich auffällig von ihren Vorgängern: von Kogons DIKTATOREN, von Leisers MEIN KAMPF und auch von Resnais’ NACHT UND NEBEL.
DAS LEBEN VON ADOLF HITLER wäre auch als reine Dokumentensammlung wenig interessant; insofern haben ihm die Vorgänger den Rang abgelaufen und insofern verliert er an Wirkung: Eine bestimmte KZ-Szene, die man schon in drei Filmen vorher gesehen hat, wird als bekannt registriert und erschüttert weniger stark. Was aufrüttelt, ist die Verarbeitung des Materials. Während Kogon vorgelegtes Material kommentierte, kommentiert der Rotha-Film mit Hilfe des Materials seine dezidierte Meinung. Während Leiser Nazigeist und trübe Realität konfrontierte und dem Zuschauer die Schlußfolgerung überließ, zieht der Rotha-Film die Schlußfolgerung selber. Und während Resnais Tatsachen sprechen ließ, unternimmt der Rotha-Film den unerhörten Versuch, in 102 Filmminuten die Nazizeit zu interpretieren. Das geht nicht, ohne Vereinfachungen und Auslassungen ab.
Der Film macht es sich aber auch nicht so einfach, mit dem Elend der Weltwirtschaftskrise die Nazizeit zu erklären. Das Schwergewicht der Untersuchung gilt dem Verhalten der Bürger einer Republik, die »ihre Republik nie geliebt haben«. Industrielle, Großgrundbesitzer, hohe Geistliche, Richter, Korporationsstudenten und biedere Familien werden unter die Lupe genommen. Das Klima, in dem ein Adolf Hitler sich entwickeln konnte, wird rekonstruiert.
DAS LEBEN VON ADOLF HITLER ist der historischen Wahrheit auf der Spur. All denen, die sich immer noch über die Nazizeit mit dem Hinweis hinwegtrösten, auch »die Russen« hätten keine weiße Weste, sollten sich durch diesen Film belehren lassen: Nur wer versucht, sich mit seiner Geschichte auseinanderzusetzen, kann fatale Wiederholungen vermeiden.
Kub (= Dietrich Kuhlbrodt): Das Leben von Adolf Hitler
8.9.1961
Formal gesehen, erstaunt – nach der Vorstellung – zuallererst der Titel. »Das Leben« Hitlers schildert dieser Film nicht. Das kann er auch gar nicht. Dazu ist das erhaltene Material viel zu gering, denn zum Leben auch eines solchen Mannes gehört ebenso das Privatleben – und wie aufschlußreich wäre gerade das bei H. Einige Aufnahmen, die man in den einschlägigen Archiven fand, beweisen dies (Berghof-Szenen). Sie zählen zu den vielsagenden des Films. Obschon sie – scheinbar – so unwichtig sind? Weil!
Die Sache dieses und jedes (Dokumentar-)Films kann es sein, in zwischengeschnittenen, symbolkräftigen Details mehr über das Thema auszusagen, als die großen monumentalen Bilder es meistens können.
Paul Rotha, der renommierte englische Dokumentarfilm-Regisseur und eigensinnige Filmhistoriker, weiß das natürlich. Aber er beherzigt es nicht genügend. Ziemlich am Anfang zeigt er einmal, wie bei einem »Führer«-Besuch ein einzelner Frauenschuh auf der Straße liegenbleibt – eine Hitleranhängerin hat ihn offenbar ihrer Leidenschaft geopfert. Ein anderes, noch besseres Mal hebt eine Begleiterin einem Gelähmten den Arm zum Hitlergruß. Das sind gravierende Nebensächlichkeiten …
In ihnen war Rothas schwedischer Vorgänger Erich Leiser ein Meister. Dies machte nicht zuletzt die Wirkung und Qualität seines Hitler-Beitrages MEIN KAMPF aus. Ein weiteres wichtiges Moment für das formale Gelingen des Leiserschen Hitler-Films war die kluge Rhythmisierung seines Werkes.
Rotha hat sie gänzlich mißachtet. Sein Film zeigt kein ausgewogenes, durchdachtes Auf und Ab, nicht Beschleunigung und Verzögerung, keinen kunstvollen Wechsel von Dramatischem und Elegischem – er geht in seinem gleichförmigen Gehalt und Schnitt von Anfang bis Ende ziemlich unverändert durch. Das ist schade.
Ebenso fehlt im Text das kontrastierende, sagen wir getrost: frappierende Moment. Der Text ist, alles hier formal gesehen, zu konventionell. An einer Stelle wird der Kommentar plötzlich unterbrochen und die Gebrauchsanweisung der Fa. J. A. Topf & Söhne, Erfurt, für die Gasöfen verlesen. Diese peniblen Mitteilungen, im Stile einer Anleitung für eine Küchenmaschine, fahren unter die Haut. Solcher, beziehungsweise ähnlicher Zwischenschübe hätte es mehrerer bedurft. Sie fielen Neumann offenbar nicht ein.
Es bleibt jedoch auch vieles lobenswert hinsichtlich der formalen Bewältigung des Stoffes. Das ausgesuchte, wenn auch nicht immer ganz neue Material hat bemerkenswertes Niveau. Billige Effekte wurden vermieden. Die drei Sprecher sind wirksam unpathetisch. Die Musik von Siegried Franz akzentuiert sparsam, treffend und durchaus originell.
Kurzum, der Film als Film hat Schwächen, aber er ist sehr achtbar. Wenn wir unsere Meinung ausnahmsweise einmal so zusammenfassen dürfen: drei plus.
Manfred Delling: Formal gesehen – Achtbar, aber mit Schwächen
Die Welt, 2.9.1961
Sehr vermißt habe ich jedes ernsthafte Vorkommen des Kirchenkampfes. Er hätte vielleicht einen Aufhänger für die Dimension des inneren Geschehens während der Schreckenszeit bilden können.
Das Entscheidende ist also dies: Das deutsche Volk wird insgesamt, sicher unbeabsichtigt, zur Karikatur. Die Massenbegeisterung vor und gleich nach 1933 ist weder in ihrer Herkunft genügend verständlich gemacht, noch besitzt sie ausreichende Äquivalente durch die Darstellung des Leides und der Konflikte im Alltag des deutschen Volkes. Das Leiden der unterjochten Völker und der Juden besitzt ein derartiges Übergewicht, daß die Leidensproportionen verzerrt werden.
Helmut Thielicke: Das deutsche Volk als Karikatur
Christ und Welt, Nr. 37, 16.9.1961
Bedauerlich ist, daß der Film trotz seiner unbestreitbaren Vorzüge viele Fragen offenläßt oder sie kaum berührt. Sehr blaß bleibt z.B. die Darstellung des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion gegen die Wehrmacht. Er beschränkt sich nahezu ausschließlich auf die Behandlung des 22. Juni, der Schlacht bei Stalingrad und der Einnahme von Berlin. Dies ist umso auffälliger, als den Kämpfen auf den Nebenkriegsschauplätzen relativ viel Raum eingeräumt wird, ja die Schlacht bei El Alamein [und der Sieg der britischen 8. Armee unter Lieutenant General Bernard Montgomery über die »Panzerarmee Afrika« unter Generalfeldmarschall Erwin Rommel – Anm. d. Red.] geradezu als Wendepunkt des Krieges ausgegeben wird.
Ebenso unzureichend bleibt die Darstellung des Widerstandkampfes des deutschen Volkes gegen das Hitlerregime. Verständlich wird dies nur, wenn man berücksichtigt, daß die Autoren auf eine Würdigung des von der Kommunistischen Partei Deutschlands geführten Kampfes verzichteten, um den bundesrepublikanischen Zensoren nicht einen willkommenen Vorwand zu bieten, den Film als »kommunistische Agitation« abzustempeln. […]
Trotz allem: Die positive Aussage des Films, der die Ursachen für Krieg, Mord und Verbrechen am deutschen und an den anderen Völkern Europas nachspürt, der mutig den Namen eines Globke nennt und die Verantwortung der IG-Farben für das KZ-System zeigt, verdient unsere Anerkennung. Der Film, der ein humanistisches Anliegen verficht, mahnt, daß solche Verbrechen sich niemals wiederholen dürfen. Bezeichnend, daß er in Westdeutschland totgeschwiegen wurde, während in der DDR dieser echte Beitrag zur »Bewältigung deutscher Vergangenheit« durch die Auszeichnung mit der »Silbernen Taube« auf der V. Internationalen Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche gewürdigt wurde.
Dr. O[laf] Groehler: »Wir haben uns ihn engagiert«
Berliner Zeitung (Berlin/DDR), 11.2.1965