Zu Beginn der Seventies in London: Der 15-jährige Mike nimmt einen Job als Bademeister in einem heruntergekommenen Badehaus im East End an. Von Anfang an ist er fasziniert von seiner einige Jahre älteren Kollegin Susan. Die junge Frau ist sich ihrer Wirkung auf den Jungen sehr wohl bewusst, spielt mit ihm und facht damit seiner Gefühle umso mehr an. Mike stellt Susan und ihrem Verlobten nach. Susan lässt sich schließlich auf die Avancen des jungen Mannes ein. Sie schläft mit Mike im Schwimmbad, obwohl er ihr noch immer nichts bedeutet. Doch er will sie nicht mehr gehen lassen. Da kommt es zu einem tödlichen Unfall.
Sprödheit, Kühnheit der Utopie, Eigenwilligkeit: Jerzy Skolimowskis letzte Filme haben die Qualitäten seiner Anfänge ziemlich verloren. Skolimowski ist in seinen Ansätzen zaghafter, in seinen Ansprüchen zurückhaltender geworden, seit er im Westen unter kommerziellen Bedingungen arbeitet. Die Abenteuer-Komödie #Die Gräfin und ihr Oberst# war sehr offensichtlich ein Film, der seine Fähigkeiten nicht herausforderte, sondern ausnutzte. Mit DEEP END, der als westdeutscher Beitrag 1970 in Venedig gezeigt wurde, ist das nicht grundsätzlich anders, nur weniger offensichtlich. Die – innerhalb dieser Grenzen souveräne – Qualität von DEEP END liegt nicht mehr in der Erfindung von Menschen oder Geschichten oder Träumen, sondern in ihrer Inszenierung. Skolimowski, man weiß es, mag gern boxen, seine Vorliebe hat er auch in diesen Film hinübergerettet. Wie ein Boxer den Gegner, sieht er – mit der Kamera – seine Menschen. Sie definieren sich allein durch ihre physische Präsenz. Der Film besteht aus einer Abfolge von Reaktion und Gegenreaktion, er lebt von der Sinnlichkeit, die Skolimowski jedem Augenblick seiner Geschichte absieht. Die Kassiererin des alten Hallenbades, in dem der Film größtenteils spielt, hat dem Mädchen Susan absichtlich einen Anruf nicht weitergegeben; später steht Susan vor der Kasse, schleckt Eis und läßt ein paar Tropfen herausfordernd auf den Boden kleckern. Susan, die mit ihrem Verlobten im Kino sitzt, läßt den Jungen Mike hinauswerfen, weil er sie angefaßt hat; später revanchiert sich Mike, läßt den Verlobten unter einem Vorwand von der Polizei festnehmen. Nur einmal gerät der Schlagabtausch aus dem Gleichgewicht. Am Ende: Mike, der Susan liebt, sie einmal haben konnte, nicht aber halten kann, schleudert einen schweren Beleuchtungskörper nach ihr, die ihn gerade verlassen will; das Ding trifft Susan am Kopf, verletzt sie tödlich.
Man müßte, wollte man DEEP END weiter beschreiben, von der Konkretheit dieses Films sprechen. Von den zerschlissenen Wänden des Hallenbads. Von dem klapprigen Auto, in dem der Monteur des Bads zur Arbeit kommt. Von den Puppen und den Männern, mit denen sich Susan umgibt. Von dem Diamanten auf Susans Verlobungsring, der verlorengeht und der, weil Mike den richtigen Trick weiß, ihn wiederzufinden, das Verhältnis der beiden weitertreibt, bis hin zum Unfall. – Von der tapsigen Ungelenkheit John Moulder-Browns, der schmeichelnden Gleichgültigkeit Jane Ashers. Man müßte beschreiben, wie sich aus solch Konkretem die Menschen entwickeln und die Geschichte, die sie miteinander verbindet.
Doch leider ist all das um eine wesentliche Spur zu glatt, zu reibungslos in Bilder gesetzt. Zu schick auch: der Unfall am Ende zum Beispiel geschieht im Bassin des Hallenbades, das sich langsam mit Wasser füllt und in das rote Farbe hineinkleckert, und dann das Blut von Susan. Daß sich Mike, weil er Susan nicht kriegen kann, eine Ersatz-Susan besorgt, eine geklaute Papp-Figur, wird nicht weiter begründet. Die Flucht mit dieser Papp-Figur wird ungebührlich in die Länge gezogen, mit Rand-Ereignissen angereichert, die die Geschichte nicht weitertreiben, sie eher aufhalten.
DEEP END: ein Film also, der eine schlüssige Interpretation erlaubt – die aber so schlüssig ist und so nahtlos aufgeht, wie das nur im Kino möglich ist.
Klaus Eder: Der Unfall
Fernsehen und Film, Juni 1971
Nach seinem Ausflug in den aufwendigen, statisteriereichen Film ist Jerzy Skolimowski wieder – wie schon in seinen frühen Drehbüchern und Filmen – zum kleinen menschlichen Schicksal, zum individuellen Problem zurückgekehrt. Doch seine Kamera, die einst lange Zeit starr und unbeweglich auf menschliches Leben blickte, ist diesmal ungemein lebendig; kaum einen Augenblick vermag sie unbewegt zu verharren, meist verfolgt sie, unstet schwankend und kreisend, die Akteure und signalisiert so dem – bei allem erstaunlich distanzierten – Betrachter die hektische Unruhe des Protagonisten, eines fünfzehnjährigen Jungen, dem es nicht so recht gelingen will, ein Mann zu werden. […]
Skolimowski hat in dem jungen John Moulder-Brown einen sympathischen, einfühlsamen Darsteller, der den Zwiespalt in der jugendlichen Psyche, diese Interessenkollision von Angst und Neugier, durchaus glaubhaft umzusetzen versteht. Folgerichtig legt er die Gestalt und ihre Entwicklung an. Nicht minder überzeugend findet Jane Asher die richtige Linie für die kesse Bademeisterin, ein rechtes Aas, das selbst über Gebühr unterdrückt ist und nun seinerseits den Schwächeren wieder unterjocht. Unaufdringlich, aber sicher geführt auch die anderen Gestalten in diesem tristen Milieu mitten in Soho, dessen miese Wirklichkeit Skolimowski allerdings artifizielle Realität werden läßt. Es ist eine freudlose Welt, in der alle mehr oder minder zu Opfern ihrer Umgebung werden. Doch Skolimowski, der polnische Regisseur, der hier zum ersten Male in einer deutsch-amerikanischen Koproduktion Regie geführt hat, beißt sich nicht an harter Gesellschaftskritik fest, er zeichnet vielmehr das poetische Psychogramm einer jugendlichen Seele, wobei er nicht zuletzt vielen skurrilen Situationen am Rande des Alltäglichen heitere Aufmerksamkeit widmet (und vielleicht gerade dadurch gelingt es ihm auch, den Zuschauer immer in einer gewissen Distanz zur erotischen Szene zu halten, die bei ihm nie zum Selbstzweck entartet).
Volker Baer: Psychogramm eines Jugendlichen
Der Tagesspiegel (Berlin), 20.2.1972