Nach dem Roman des Exil-Chilenen Omar Saavedra Santis. Der von der Militärjunta exilierte Chilene Rogelio lebt als Emigrant in Mecklenburg, wo er in einem Stadttheater als Beleuchter arbeitet. Er ist befreundet mit der Inspizientin Luise, die ihn vergeblich liebt, dem Spanienkämpfer Hiller, der selbst einmal im Exil gelebt hat, und einem ungarischen Kollegen. Mit der blonden Sängerin Cornelia hat er eine kurze Affäre. Dennoch fühlt sich Rogelio fremd in der DDR. Als er in West-Berlin Nazipunks gegenübersteht, provoziert er eine Prügelei. In Briefen an seinen Onkel und seine Mutter entwirft er allerdings ein ganz anderes Bild seines Lebens in der DDR: Er berichtet von seiner vermeintlichen Hochzeit mit Cornelia und sogar der Geburt eines gemeinsamen Kindes, was er mit fingierten Fotos belegt. In Rogelios Heimat nimmt die gesamte Dorfgemeinschaft Anteil an seiner geglückten Integration – bis ihn ein Brief erreicht, der die Dinge in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.
»Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht«, schrieb Heinrich Heine in Paris; der Name des Landes ist austauschbar. Chile zum Beispiel …
Von einem der unter uns lebenden chilenischen Emigranten handelt der DEFA-Film BLONDER TANGO, ein Film von Lothar Warneke nach dem gleichnamigen Roman von Omar Saavedra Santis, der auch am Szenarium mitarbeitete, und intensiv wird es vorstellbar und nacherlebbar, wie einem solchen Emigranten zumute ist, was er fühlt und denkt. Durch die literarische Vorlage ist Authentizität gegeben, der Mentalität und der Emotionen und – wichtig! – einer Sehweise, die uns Selbstverständliches erstaunlich und fremdartig vorkommen läßt. […]
Sehr komplex ist Rogelios Geschichte und eine Tragikomödie mit einem weiten Spannungsbogen zwischen ironisch gefärbter Situationskomik und besinnlicher Ernsthaftigkeit. Es ist nachgezeichnet, wie heute die Menschen in Chile leben und was unter uns lebenden Ausländern doch etwas eigenartig an uns und unseren Gepflogenheiten vorkommt. Es ist manches auch nur beiläufig anekdotisch, aber anderes reißt wieder große Epochenzusammenhänge auf, wie etwa die ergreifende Gestalt von Rogelios alter Wohnungsnachbarin, die Mann und Söhne im zweiten Weltkrieg verloren hat.
Fülle des Lebens in diesem Film, und für diese Fülle aber auch die dem gemäßen Gestaltungsmittel. »Ein Lied geht um die Welt« von Joseph Schmidt als ein musikalisches Leitmotiv, dessen Sentimentalität sich nun wirklich in eine Symbolik von Weltweite verwandelt, und Opernopulenz nicht nur attraktive Zutat, sondern – die Schlußszene aus Puccinis »Tosca« – mit assoziativem Bezug, und wer wußte eigentlich schon, daß der Schulchor aus Beethovens Neunter in Chile zu einer Melodie des Widerstands geworden ist? Und überhaupt reicher und üppiger hier die Bildsprache als in Warnekes bisherigen Gegenwartsfilmen, phantasievoller und metaphorisch verdichtet.
BLONDER TANGO ist ein bedeutender Film. Exil bleibt Exil – dieses sein Thema schöpft er aus, zwingt zum Nachdenken darüber, ist damit selbst ein Akt der Solidarität. Bei uns lebende Chilenen haben als Schriftsteller, Regisseure und Schauspieler unser kulturelles Leben schon vielfältig bereichert, mit Welthaftigkeit und ästhetischen Novitäten. Lothar Warneke hat diese Herausforderung aufgenommen und auf die eine überzeugende Antwort gegeben: Chile und wir, wir und Chile, ferne Nähe und nahe Ferne.
Helmut Ullrich: Menschen im Exil, Menschen unter uns
Neue Zeit (Berlin/DDR), 15.4.1986
Unterschiede in Lebensart und Mentalität werden immer wieder deutlich im Kontrast der Sequenzen, die zu den Briefzitaten der Mutter das Miteinander und die Solidarität einfacher Menschen in Chile zeigen. Dagegen die künstliche laute Fröhlichkeit eines Theaterfaschings, der Rogelio wie »das Begräbnis eines Totengräbers« vorkommt.
Hier hat der Film seine stärkste Szene. Rogelio geht betrunken auf die leere Bühne, legt in der Tonkabine eine alte Platte auf […]: Joseph Schmidt – auch er ein Emigrant – singt »Ein Lied geht um die Welt«. Während Rogelio den Gesang mimisch imitiert, ziehen an seinem geistigen Auge all die Menschen vorüber, denen er in der Heimat und der Fremde begegnete, und er schreit schließlich seine Verzweiflung in den leeren Zuschauerraum: »Laßt mich nicht allein! Es ist kalt in diesem Land, wo alle Katzen blond sind!« Mit den kostümierten Kollegen kommt der Intendant hinzu, irritiert, doch scheinbar verständnisvoll typisch deutsch reagierend: »Warum haben Sie uns nichts davon gesagt, Kollege Astudillo? Wenn Sie Lust hatten, diese Nummer abzuziehen, hätten wir doch alles organisiert.«
[…] Warneke hält seinen Film immer in der Schwebe zwischen Traurigkeit und humorvoll-ironischer Distanz. Metaphorisch tauchen mehrfach Bilder von Schnee und Eis auf, die Thomas Plenerts Kamera an der Ostsee aufnahm. Es ist kalt in Deutschland. BLONDER TANGO gehört zu den Filmen, die machen, daß es vielleicht ein wenig wärmer wird.
Heinz Kersten: Es ist kalt im deutschen Land
Der Tagesspiegel (Berlin/West), 18.5.1986
Frage: Wie war Ihre Aufnahme in der DDR, sowohl seitens staatlicher Stellen, als auch seitens der Bevölkerung?
Omar Saavedra Santis: In der Regel war die Aufnahme seitens der Bevölkerung gut, und ich würde sagen, die Solidarität mit Chile war damals wirklich eine Herzenssache, wie die SED immer sagte. Es war eine Herzenssache, das habe ich gespürt. Das betone ich auch heute noch. […] Die Solidarität mit anderen Völkern gehörte übrigens meiner Meinung nach zu den guten Parteibeschlüssen der SED.
Ein Teil der guten Aufnahme war die bürokratische Freundlichkeit, d.h. das Verhalten der Funktionäre, die uns betreut und uns Wohnungen und Arbeitsplätze vermittelt haben. Dann begann sich der Alltag zu gestalten, das war eine andere Sache. Da gab es ganz unterschiedliche Erfahrungen. 1974/75, vor 18 Jahren, haben wir Freunde gewonnen, die bis heute Freunde geblieben sind. Aber das sind wenige, ganz wenige, und das meine ich sehr ernst, ganz wenige, weil es nach der Wende noch weniger Leute waren, die mit uns noch, sagen wir, die alten Beziehungen aufrechterhalten wollten.
Aber es gab auch andere Erfahrungen. Es stimmt nicht, was heute gesagt wird, daß der Rassismus, der heute besonders in den neuen Ländern herrscht, existiert, weil der Ostdeutsche keinen Kontakt mit Ausländern hatte, das ist absolut idiotisch. Natürlich hatten sie Kontakt, und als wir mehr Deutsch konnten, war schon zu sehen, was heute zu erleben ist. »Chilenen raus« wurde auf das Haus, in dem wir lebten, schon 1974 geschrieben, als die Diktatur in der DDR noch funktionierte. Es gab auch handfeste Konflikte, einige Chilenen wurden verprügelt, aber das war nicht die Regel, im allgemeinen wußte die Diktatur so etwas unter Kontrolle zu halten.
»Humorlosigkeit hat den deutschen Sozialismus kaputtgemacht«
Exil in der DDR: Omar Saavedra Santis
ila – Das Lateinamerikamagazin, Nr. 163, März 1993
Das Gespräch führte Gert Eisenbürger im November 1992