Nach der Hochzeit holt der türkische Gastarbeiter Dursun seine Frau Turna in seine Wohnung nach Hamburg. Mit Vorfreude packt sie ihre Koffer aus und richtet die Wohnung ein. Als Dursun zur Arbeit geht, muss Turna jedoch mit Entsetzen feststellen, dass sie von ihrem Mann eingeschlossen wurde. Er wolle sie beschützen vor Deutschland und der ungezügelten Lebensweise der westlichen Welt. Zwischen Wäsche waschen und Essen kochen verbringt Turna, völlig isoliert von der Außenwelt, die nächsten Monate in der Wohnung. Einzig und allein mit einem kleinen Mädchen am Fenster gegenüber kann sie Kontakt aufnehmen, indem sie sich gegenseitig mit Puppen zuwinken. Als Turna ihren Mann bittet, nur ein einziges Mal mit ihr die Wohnung zu verlassen, willigt er zunächst ein – doch sie wird enttäuscht. Auch ihre eintretende Schwangerschaft scheint nichts an der Situation zu ändern, bis eine Katastrophe sie plötzlich mit der Außenwelt konfrontiert.
Vom ersten Augenblick an ist eine große Ernsthaftigkeit und Konzentration zu spüren. Die Kamera erkundet die Räume, in denen sich im Verlauf der nächsten 80 Minuten die Geschichte von Turna (Özay Fecht) und Dursun (Yaman Okay) ereignen wird. Das Piepen eines elektrischen Weckers schiebt sich aufdringlich zwischen die Bilder einer verwahrlosten Unterkunft […]. Als Turna merkt, dass sie eingeschlossen ist, reagiert sie zunächst mit Erstaunen, Zorn, Verbitterung. […] Tage, Wochen, Monate verbringt sie hier; eingesperrt wie ein Tier, ergeben; stumm; den Blick nur frei auf den Hinterhof, ein Stück Straße in Hamburg St. Georg und die Wohnungen gegenüber, aus denen sie schmale Fetzen einer bundesdeutschen spießig-ängstlichen bis nervös-punkigen Wirklichkeit zu sehen bekommt. Weil wir Turna nah sind – vermittelt durch die präzise, traumhafte Kamera, die dicht bei den Personen und dennoch diskret bleibt – fehlt uns irgendwann die Luft zum Atmen. Die Kamerabewegungen umkreisen die Personen, begleiten sie, ziehen uns in die Enge dieser Zwei-Zimmer-Hinterhaus-Wohnung, kommentieren durch Distanz und Nähe die Geschehnisse, sind die Seele des Films. […] Tevfik Başer sucht den Dialog, ja vielleicht Verbündete bei den Zuschauern. Die beiden einzigen längeren Texte werden in Richtung Zuschauerraum gesprochen – einmal mehr ein Zeichen dafür, daß sich Turna und Dursun nicht lieben: sie haben sich eigentlich nichts zu sagen, wissen nicht, wie sie ihre Isolation durchbrechen können, weder die äußere, noch die innere. […] Turna und Dursun wollen leben – nicht mehr und nicht weniger. Wie weit sie und wir davon entfernt sind als Deutsche und Türken, als Nachbarn und Ehepartner, als Frau und Mann, zeigt Tevfik Başer in einer 40 m2-Wohnung, nicht weit entfernt von jener Stelle, an der am 24. Dezember letzten Jahres der 26-jährige Türke Ramazan Avci von fünf Skinheads erschlagen wurde. […] Er erinnert mit seinen Erzählungen auch daran, daß es menschliche Würde so wenig ohne Ende der Not gibt wie menschengemäßes Glück ohne Ende alter und neuer Unterwürfigkeiten.
Maria Capponi: 40 qm Deutschland
Epd Film, Nr. 8, August 1986
Seit ihn [= Tevfik Başer] die Vision von der totalen Verlorenheit in einem fremden Land packte, sammelte er alle Eindrücke darüber, studierte das Leben der türkischen Gastarbeiter in Deutschland, sprach mit vielen Frauen, fragte sie nach ihren Gefühlen, Gedanken und Wünschen und zeichnete seine eigenen Erfahrungen auf. Vor einem Jahr begann er dann mit einem Drehbuch, schrieb es fertig – und bekam wider Erwarten den Höchstbetrag von 300.000 Mark aus Mitteln der Hamburger Filmförderung. […] So besessen war Tevfik Başer all die Jahre von seinem Projekt, daß er bei den Vorbereitungen zu den Dreharbeiten nichts dem Zufall oder anderen überließ. Er selbst wählte nach wochenlangen Streifzügen durch die Stadt das Motiv aus, kümmerte sich um die Ausstattung [und] suchte in Deutschland und der Türkei die Schauspieler zusammen […]. Um so authentisch wie möglich zu sein, wird im Film nur türkisch gesprochen, längere Textpassagen sind untertitelt. […] Mit seiner Chronik der alltäglichen Ereignisse in einer türkischen Ehe auf #40 qm Deutschland# will Tevfik Başer die Situation der Menschen »von innen heraus« zeigen. »Wenn deutsche Regisseure Filme – auch sehr gute Filme – über Türken machen, dann erzählen sie immer Geschichten drum herum, mit ihren Gefühlen, aber nicht aus der Mitte des Erlebens der Betroffenen heraus. Ich will versuchen, etwas von den Gedanken und Gefühlen der Menschen aus einer den Deutschen fremden Kultur deutlich zu machen, an der ich zwar manches zu kritisieren habe, die ich aus ihrer Tradition heraus jedoch verstehe. Ich möchte, dass die Deutschen uns kennenlernen, denn Unbekanntes macht Angst und erzeugt Haß, wie an den Ausschreitungen gegenüber den Türken zu sehen ist. Deshalb schildere ich an einem besonderen Fall die Gastarbeiterverhältnisse in der Bundesrepublik, ohne in meinem Film Wohnung und Haus auch nur ein einziges Mal zu verlassen.«
Bei seiner eindringlichen Darstellung der Gefühle und inneren Erfahrungen verlässt sich Tevfik Başer nahezu ganz auf die Bildersprache. Lange Großaufnahmen von Gesichtern wechseln mit langsamen Fahrten und Schwenks durch die verschachtelte Wohnung, beschreibende Detail-Beobachtungen werden abgelöst von reglosen Totalen, bewegte Bilder der <living camera> von raffinierten Spiegeltricks. So wird #40 qm Deutschland# zu einem Film, der den Zuschauer still, aber voller innerer Spannung, ja, Dramatik, in das Geschehen hineinsaugt: Die Zeit scheint stillzustehen, endlos, das Leben fern, Geräusche täuschen, Träume ängstigen, Erinnerungen steigern nur noch das Entsetzen, verzweifelte Sehnsucht starrt ins Leere. Ein Leben in der fürchterlichen Isolation des Fremdseins mitten unter Millionen Menschen […].
Heike Mundzeck: 40 qm Deutschland
Frankfurter Rundschau, 18.1.1986