Der Zeichner Michael Rott kommt nach Ende des Zweiten Weltkriegs in das zerbombte münchner Palast-Hotel Regina, aus dem er 1938 Hals über Kopf ins Ausland fliehen musste, als ihm wegen einer Karikatur die Verhaftung durch die Gestapo drohte. Er hofft, seine Geliebte Annette wiederzufinden, die er seit damals nicht mehr gesehen hat. Statt Wiedersehensfreude begegnet ihm allerdings nur Feindseligkeit der Hotelangestellten. Auch Annette, die er schließlich findet, steht ihm abweisend gegenüber. Nur die junge Katharina, genannt Kat, die in den Trümmern nach Wertvollem sucht, das sie verkaufen will, ist freundlich zu ihm. Es stellt sich schließlich heraus, dass er verdächtigt wird, die Jüdin Nelly Dreyfuss verraten und ihren Schmuck gestohlen zu haben. In Rückblicken werden Ereignisse der verhängnisvollen März-Nacht 1938 erzählt. Als Kat von der Sache erfährt, weiß sie, wie sie Michaels Unschuld beweisen kann.
Dies ist der erste deutsche Film unserer Zone. Erste Reaktion darauf: Freude, daß es wieder eine Münchner Filmproduktion gibt. Zweite Reaktion: Bewunderung dafür, daß die Männer, die diesen Film gemacht haben, die unsäglichen Schwierigkeiten dieser Zeit überwanden. Dritte Reaktion: Kritik. Sie wird wohlwollend sein, sofern sie dem Werdenden gilt: den ersten Schritten der Nachkriegsproduktion auf noch schwankendem Boden. Sie wird klar und scharf sein müssen, sofern sie an die Frage rührt, ob das, was sich in diesem Werk abzeichnet, die Art von Filmen ist, die wir brauchen.
Der Film ist mit großer Sorgfalt gemacht. Einprägsam. Effektvoll. Mit bewährten Mitteln, bewährten Wirkungen, bewährten Stars. Die Liste der Darsteller zeigt fast nur Stars, bis in die kleinsten Rollen hinein. Es ist die alte Garde. Hildegard Knef ist (für München) das einzige neue Gesicht. Wir haben nichts gegen die alte Garde, solang die junge Garde (die Avantgarde) nicht auf den Plan tritt. Sie hat sich bislang, trotz aller Anrufe, weder in unserer Literatur noch in unserem Theater gezeigt – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Wir gehören auch nicht zu jenen intoleranten Puristen, die heute einen bekannten Schauspieler, der sich anständig gehalten hat, nur deshalb ablehnen, weil er auch gestern schon ein bekannter Schauspieler war. Aber vom ersten Nachkriegsfilm dieser Zone haben wir nicht das Bekannte und Bewährte, sondern neue Wege erhofft. Neue Einsichten. Neue Menschen. Zumindest (denn wir sind bescheiden geworden): ein <paar> neue Profile, ein paar neue Einfälle, ein paar Ansatzpunkte, bei denen wir spüren: so ist es, so sind wir, dies ist Klärung und Befreiung, dies ist der Klang des Kommenden ... Dies wenigstens durften wir erwarten.
Statt dessen finden wir: Routine. Wir finden einen Film von jener bekannten Art, die nichts anderes kann und will als das kultivierte, gewohnte, allenfalls ein wenig variierte Mittelmaß. Das deutsche Mittelmaß, das uns oft mehr auf die Nerven ging als das mißglückte Experiment. Daß NS-Tendenzen nun durch erfreulichere Tendenzen ersetzt sind, ist sehr schön, aber es wird wenig nützen, wenn im übrigen, stilistisch und substantiell, alles beim Alten bleibt. Wenn der Film weiter von konventionellen Schablonen und konventionellen Konstruktionen lebt. Von den zwei Paaren etwa, von denen sich erst die falschen und dann doch die richtigen finden. Oder von der berühmten Dramaturgie der Mißverständnisse (wenn der Konflikt darauf basiert, daß ein Brief verlorenging oder daß jemand durch irgendeinen Zufall irgend etwas verschwiegt, was dann komplizierte, das prästabilierte happy end aber nur hinauszögernde Folgen hat). Oder von dem falschen Verdacht um einen verschwundenen Schmuck ... Das alles ist furchtbar uninteressant geworden. Gerade dies aber, die Geschichte eines falschen Verdachtes um einen verschwundenen Schmuck und einiger sich mißverstehender Leute, samt unterschlagenen Briefen, ist die Grundfabel dieses Films. In dieses uralte Kolportageschema werden nun mehrere Nebenhandlungen getrieben, die gottlob viel interessanter sind als die Grundkonstruktion. Nur durch die Ventile dieser Episoden erhält dieser ansonst recht gepreßt atmende Film frische Luft. Die Geschichte des zerbombten Regina-Hotels, die Geschichte einer verfolgten Jüdin, eines verbitterten Professors, eines schwarzhandelnden Mädchens, die Geschichte endlich eines großen Luftangriffs – das und nur das ergibt einige Szenen, in denen wir neuen Geist und nette Möglichkeiten spüren. Nicht der Tendenz wegen (denn die ist billig zu beziehen), sondern weil hier ein paarmal, abseits vom Konventionellen, der Zeit-Ton getroffen ist. Das Leiden jener Jahre. Die Einsamkeit des Menschlichen vor jenen Horizonten.
Die vielleicht stärkste Szene trägt Erich Ponto als Professor, der in der Staatsbibliothek (1946) ein paar Worte mit de Kowa, dem heimgekehrten Emigranten, wechselt. Er sei lange fortgewesen, sagt höflich und harmlos der Rückkehrer. Darauf Ponto: »Und wir waren hier!« Wie diese wenigen Worte gesprochen werden – daraus ersteht erschütternder das Erlebnis der Zeit als aus langen Milieuschilderungen. Erschütternd auch, wie Sybille Schmitz der ratlos-gehetzten Jüdin Gestalt und Stimme gibt – schauspielerisch die stärkste Leistung des Films. Eindrucksvoll lebendig und gegenwärtig: Hildegard Knef, eine Darstellerin, die uns Zukunft zu haben scheint. Eine präzise Charakterstudie, jenseits billiger Schwarz-Weiß-Malerei, gibt Otto Wernicke als Promi-Ministerialrat. Hier scheint der Film auf der richtigen Spur. [...]
Regie führte Harald Braun, der auch mit Herbert Witt das Drehbuch schrieb. Er hätte sich entscheiden müssen, was er machen wollte: einen Reißer oder ein Zeitdokument. Als Reißer ist’s zu sehr Dokument, als Dokument zu sehr Reißer, als reißerisches Dokument oder dokumentarischer Reißer aber wiederum zu behutsam und zu sehr um jene mittlere Linie des Kultivierten bemüht, welche die unmittelbare, brutale Echtheit (die eine Möglichkeit) ebenso verwässern muß wie die entrückende künstlerische Distance (die andere Möglichkeit), die nur aus dem geistigen Rang der Konzeption und aus dem optischen Formprinzip des Films zu gewinnen wäre. Wir vertragen viel: das konsequente Wagnis des kompromißlosen Zeitdokuments, auch wenn es nicht ganz gelingen sollte, wie das nicht minder konsequente Wagnis des kompromißlosen künstlerischen Versuchs, auch wenn er abseits der Zeit und der Tagesprobleme liegen sollte. Wir vertragen, wenn es das noch geben sollte, die echte Heiterkeit wie das Groteske, den Problemfilm wie den leichten, kabarettistischen Charme. <Nur eins vertragen wir schlecht: die bewährte Konfektion.> Diesen Film auf solche Formel zu bringen, wäre gewiß ungerecht. Doch daß er auch nur diesen Beigeschmack hat, ist Anlaß genug zur Warnung. Dieser Film erreicht weder Käutners IN JENEN TAGEN noch Maetzigs EHE IM SCHATTEN. Es darf nicht geschehen, daß Münchens Film die Chancen, die sich eben eröffnet haben, verpaßt.
Gunter Groll: Zwischen Gestern und Morgen
Süddeutsche Zeitung, 16.12.1947
Rezept: Man nehme einen beliebigen Roman von Anno dunnemals aus der Berliner oder Münchner Illustrierten, wo anfangs ziemlich undurchsichtig durcheinandergeliebt wird, doch am Schluß kriegen sich die Richtigen; eine tragisch endende Schauspielerehe, etwas Pseudokriminalistik und als Schauplatz ein Hotel mit den entsprechenden Toiletten gehören auch dazu. Hat man nun noch ein paar Dutzend recht unwahrscheinliche Zufälle, so mag man in Gottes Namen aus diesen Zutaten einen Filmteig anrühren.
Selbst wenn dann die Backfische aller Altersstufen Geschmack daran finden, berührt es uns wenig. (Nur um das kostbare Material, das so vertan wird, ist es schade.) Aber Protest, energischster Protest sei angemeldet, wenn dies Verlegen- und Verlogenheitsgebäck mit Trümmern, Sirenen und Bomben, mit Gestapo und Rassenschande, Denunziation, Emigration, Heimkehr, Jugendnot und Flüchtlingsschicksal garniert und den hungrigen Zuschauern als nährende Speise angeboten wird. Mag seine Kalorienarmut zeitgemäß sein – nichts anderes an diesem Film, den die Neue Deutsche Film-Gesellschaft in München ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN betitelte, ohne daß er von beidem etwas enthielte, hat auch nur die leisesten Berührungspunkte mit der Wirklichkeit von heute. Ein Sakrileg und nichts anderes ist es, diese schmerzvoll nahe, diese durchlebte und durchlittene Wirklichkeit von Glanz und Elend, von Schande und Not Hitlerdeutschlands zur gleichgültig angeklebten Kulisse einer Filmstory von letzter Kolportagehaftigkeit zu machen.
Ein Massenaufgebot von Stars vermochte sich unter der Regie Harald Brauns gegen die in diesem Mißverhältnis wurzelnde Peinlichkeit des Stoffes, gegen die hoffnungslose psychologische Verzeichnung aller Charaktere nicht durchzusetzen. Lediglich bei Otto Wernickes stiernackig bösem Ministerialnazi war etwas von der Atmosphäre spürbar, die der Film erstrebte. Die anderen sind lediglich zu registrieren: de Kowa, Birgel, Ponto, Sybille Schmitz, Hildegard Knef, Winnie Markus – schon von ihren Gesichtern, diesen glatten typischen Schauspielergesichtern, von denen der deutsche Film sich nicht trennen will, mußte hier die Wirkung verscheucht werden.
Also: eine Enttäuschung mehr. Wann kommt der Film, dessen Bilder und Menschen aus der Wahrheit unseres Erlebens zu uns sprechen?
E–u. [= Hans-Ulrich Eylau]: Zwischen vorvorgestern und irgendwann
Tägliche Rundschau (Berlin), 23.3.1948