Die Pension Boulanka ist eine beliebte Artisten-Herberge in Ost-Berlin. Die Inhaberin kümmert sich liebevoll um ihre Gäste, die größtenteils schon zum wiederholten Mal bei ihr wohnen. Darunter der Clown Ulff, der Zauberer Colanta, die Hundedresseurin Sievers und der Artist Jan Gruyter. Doch dann geschieht ein Mord: Der zwielichtige Gruyter wird tot in seinem Zimmer aufgefunden. Die ermittelnden Kriminalbeamten sind überzeugt, dass der Täter unter den Pensionsgästen zu finden ist. Fast alle scheinen Gruyter aus früheren Zeiten zu kennen, obwohl die meisten es verleugnen. Offenbar hat er vielen durch sein skrupelloses Verhalten Grund zum Hass gegeben. Ein Mordmotiv hätten sie fast alle, und in Gruyters Zimmer finden sich Spuren der anderen Gäste. Durch akribische Ermittlungen kann die Polizei schließlich die Tat aufklären und kommt gleichzeitig auch hinter die dunklen Machenschaften Gruyters.
Kriminalfall und Artistenmilieu – das ist eine beliebte Verbindung, eine Erfolgsgarantie geradezu für einen spannenden Unterhaltungsfilm. Auch die DEFA macht sich die zunutze, in dem Film PENSION BOULANKA […]. Sie tut’s allerdings nicht mit ganz reinem Gewissen. Am Ende wird aufdringlich belehrend darauf hingewiesen, daß derlei Fälle wie der eben abgehandelte, ein Fall mit Mord, Rauschgiftschmuggel, Mädchenhandel, Betrug, Stimmenimitatorkünsten und ebenso seltenem wie todsicherem japanischen Gift aus den Eingeweiden des Kugelfisches ganz untypisch für die Artistenwelt seien. Es ist eben schwer, den Realismus und die eigentümlichen Gesetze des Krimigenres unter einen Hut zu bringen …
Aber wie dem auch sei, Helmut Krätzig, Regisseur und zusammen mit Kurt Bortfeldt auch Drehbuchautor des Films der »Gruppe 60«, hat jedenfalls aus der Geschichte von der Schlinge um den Hals des zwielichtigen Herrn Gruyter einen recht passablen Krimi gemacht, bei dem es nicht einmal besonders stört, daß es der Handlung etwas an Exaktheit mangelt. Die finstere Mordaffäre wird aufgehellt und aufgelockert durch einen trockenen Humor, der sehr sympathisch berührt.
H.U.: Mordfall im Artistenmilieu
Zu dem DEFA-Kriminalfilm »Pension Boulanka«
Neue Zeit [Tageszeitung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands in der DDR], 4.12.1964
Frei nach Fritz Erpenbecks Roman von der <Künstlerpension Boulanka> entstand in Babelsberg der Kriminalfilm um die »Pension Boulanka«. Die Autoren waren so frei und freundlich gegenüber denjenigen, die das Buch und damit den Täter kennen, eine neue Tatmotivierung und einen neuen Schuldigen zu finden. Das hat sich insgesamt für Fall und Spannung positiv ausgewirkt.
Regisseur Helmut Krätzig und Kurt Bortfeldt schrieben das Drehbuch. Sie waren nicht darauf aus, durch sich überstürzende Ereignisse und wilde Schnitte künstlich hektisches Tempo zu erzeugen; aber der Film hat von der ersten bis zur letzten Szene Atmosphäre, und man konstruierte logisch. Das heißt: Der Betrachter hat das für Kriminalfilme leider schon seltene Vergnügen, durch eigene Kombinationen den Mörder fünf Minuten vor der Filmpolizei zu finden. Regisseur Krätzig beweist mit seiner Inszenierung Stilgefühl, er beweist aber auch, daß er vom Fernsehen kommt. Die ganze Auffassung und einige recht überflüssige Wiederholungen erinnern an die beliebten mehrteiligen Fernsehkrimifolgen. Der nur im Dialog angedeutete antifaschistische Einschlag hat im Zusammenhang dieses Films kaum Bedeutung. Etwas knapper gehalten, hätte der sonst gute Streifen sicher noch gewonnen.
Mit Christine Laszar, Herwart Grosse, Herbert Köfer, Peter Herden, Otto Mellies ist ein großes Aufgebot guter Schauspieler vertreten. Ganz hervorragend aber – und allein deshalb wird der Film sehenswert – ist Erika Pelikowsky als leicht exaltierte Pensionswirtin Boulanka. Diese Mischung aus »man war ja selbst mal Künstlerin«, Geschäftssinn und mangelndem Urteilsvermögen ist köstlich.
Günter Sobe: Pension Boulanka
Berliner Zeitung (Ost-Berlin), 8.12.1964
Hauptmann Wernicke alias Bruno Carstens muß gerade BLAULICHT gedreht haben oder er hatte Urlaub. Glücklicherweise – denn vielleicht wurde er deshalb nicht von der DEFA in die »Pension Boulanka« gerufen, um einen Mord aufzuklären. Trotzdem blieb ihm nichts erspart (kein Krimi ohne Bruno Carstens). Er muß sich zumindest von dem amtierenden Hauptmann Brückner die ganze Geschichte erzählen lassen.
Aber der Hauptmann Brückner hatte es auch in sich! Das merkte man gleich, als er den Tatort betrat:
Dunkles Zimmer – Ermordeter lehnt lässig im Lehnstuhl – Strick noch lässiger um den Hals. Ein Kriminalblick gleitet durchdringend, sofort des Pudels Kern treffend: »Hier stimmt was nicht!«
Glauben Sie ja nicht, daß der Film mit solchen nervenzerreißenden Szenen beginnt. Bis solches festgestellt wird, ist der halbe Film schon vorbei.
Er beginnt mit ein paar effektvoll abgegebenen Schüssen … ins Leere (Keine Angst, der Hauptmann übt nur vor sich hin), und dann muß Bruno Carstens und das Publikum die Geschichte über sich ergehen lassen, die erzählt wird.
Um die Zuschauer darauf vorzubereiten, was sie erwartet, wird zunächst einmal festgestellt, ein Mord und seine Aufklärung brauchen viel Zeit. Nun wird diese zunächst damit totgeschlagen, daß der Zuschauer einen Blick in die »ach so geheimnisvolle Welt« der Artisten tun kann. Zum anderen wird eine Reihe Personen so eindeutig verdächtigt, daß der durch zahlreiche Fernsehspiele geschulte Zuschauer sofort weiß: Der ist’s nicht!
Als es dann endlich zum Mord gekommen ist, weiß das die Polizei noch lange nicht so genau. Die Untersuchung beginnt, dem Zuschauer bleibt Zeit zum Nachdenken. Da erkeine einleuchtende Erklärung dafür findet, wieso die Absicht der Pudelbändigerin, genau zur Mordzeit ein Bad zu nehmen, so detailliert auf die Leinwand gebracht wurde, ahnt er langsam die Zusammenhänge. Die Motive allerdings vermag er beim besten Willen nicht selbst zu erraten. Da muß wieder Hauptmann Brückner mit seinen Erklärungen einspringen, denn wie das filmisch umzusetzen wäre, dazu ist offensichtlich weder den Drehbuchautoren noch dem Regisseur etwas eingefallen.
Eines muß auf jeden Fall noch gesagt werden. Den Mord in der Zirkuskuppel und ähnliche Storys hat schon so manche Filmfirma in einen Kassenschlager umwandeln wollen; mit oder ohne Erfolg. Damit Sie, liebes Publikum, nun aber nicht gleich denken, daß sich Zauberkünstler, Seiltänzerinnen und Löwenbändiger gesetzmäßig gegenseitig umbringen, gibt Hauptmann Brückner noch eine letzte Erklärung, die Artisten seien ehrenwerte Leute – entgegen »manchen« Auffassungen, und so ein Vorfall sei in diesem Milieu sehr selten.
H. Gossing: »Hier stimmt was nicht!«
Zum letzten DEFA-Film des Jahres: Pension Boulanka
Ostsee-Zeitung (Rostock), 20.12.1964