Kurz vor Jahreswechsel verweben sich in dem etablierten Hotel inmitten schweizer Schneelandschaft die Wege von Personal und Gästen. Emilie, Zimmermädchen und alleinerziehende Mutter, hat Geldsorgen, da ihr Sohn Walter bei seiner letzten Anstellung Geld verloren hat. Mit Hilfe eines dem Hause langjährig verbunden Gasts zahlt sie es zurück. Der neue Hilfskoch Fredy darf schon bald auf seinem Wunschposten als Etagenkellner einspringen, was ihn näher an die schöne Speranza bringt, in die er sich sofort verliebt. Während der Herr Direktor in Amerika weilt, hat seine Frau die Leitung übernommen und dirigiert das Personal wohlwollend. Als jedoch einem Gast 300 Dollar gestohlen werden und Emilie sowie ihr Sohn Walter von anderen Mitarbeitern verdächtigt werden, sieht sich die Chefin gezwungen einzugreifen und versetzt Emilie als Küchenhilfe in den Keller. Um ihre ursprüngliche Stellung wiederzuerlangen, muss ihre Unschuld bewiesen werden.
Shortly before New Years, in an established hotel in St. Moritz, the paths of staff and guests interweave in the Swiss snowscape. Emilie, a maid at the hotel and single mother, has financial worries because her son Walter has lost a large sum of money in his last employment. With the help of a guest who has been visiting the hotel for years, they are able to pay it back. Fredy, the new assistant chef, may soon be promoted to floor waiter which will bring him closer to the beautiful Speranza, a woman with whom he has fallen deeply in love. Since the Hotel Director is living in the United States, his wife has taken on the responsibility of directing the hotel personnel. However, when $300 is reported stolen from a guest and Emilie and Walter are suspected, the acting director sees no option other than changing Emilie’s job to kitchen assistant in the cellar. To regain her original position, Emilie must prove her innocence.
Wieviel Arten von Realismus gibt es? Die Frage ist nicht zu beantworten, denn das hieße, ein vages Schlagwort präzis machen zu wollen. Aber daß es keinen bestimmten, allgemeingültigen realistischen Stil gibt, der alle anderen Bemühungen ausschließt – dafür ist der sympathische schweizerische Film PALAST HOTEL ein Hinweis. Zwischen der Scheinwelt der Kitsch-Filme (was man sich bei einem deutschen Film unter dem Titel »Palast Hotel« alles vorstellen könnte!) und den ködernden Kraßheiten gewisser auf ihren Realismus pochender Filme gibt es offenbar noch andere Möglichkeiten. Man nehme zum Beispiel ein Grandhotel älteren Stils, einige seiner Gäste, vor allem aber das Personal vom Chausseur der Bel-Etage bis zum Kellermeister, von der Direktion bis zum Heizer: eine Welt für sich, ein scharf umrissenes soziologisches Gebilde, mit seiner Arbeit und Tradition, seinen inneren Verflechtungen und Beziehungen, seinen Freuden und Aufregungen und einem gewissen kollektiv-melancholischen Zug, denn auch das Grandhotel als Typ ist vergänglich und weicht anderem. Man nehme also diesen Apparat, diese komplizierte menschliche Maschinerie unter äußerlich glatten Verkleidungen, die sich da im Souterrain des Hotels, den Personaltreppen und Dienstzimmern eifrig bewegt, um einigen Hotelgästen wie Schauspielern auf der Bühne das Bewegen im hellen Licht zu ermöglichen, in geklärter Ruhe und ruhigem Komfort – diese Fabrik der Gastlichkeit also, und besehe sie in ihren Beziehungen, Spannungen und Ereignissen und packe das Ganze in einen Spielfilm. Dies hat man in der Schweiz nach dem Drehbuch von Richard Schweizer (von ihm stammt VIER IM JEEP) gewagt, und da man es etwas gründlich tat, sozusagen schweizerisch solid, geht die Schilderung oft in die Breite, und man denkt daran, irgendwo eine Spur Langeweile zu finden – bis man erkennt, daß dahinter Absicht steckt, und wie bewundernswert mutig der Grundgedanke ausgeführt worden ist.
Dem Film mag es hier und da an elegantem Schwung fehlen, er mag auch das Thema »Grandhotel« trotz aller Bemühungen nicht ganz erschöpft haben – aber die eiserne Mäßigung, die er sich in der Wahl der Mittel, vor allem der dramatischen, auferlegt, wiegt vieles auf. Es muß ja nicht gemordet, geraubt, heroisch oder sündhaft geliebt werden. Man zeige nur, wie aufregend der Wechsel von Vertrauen und Mißtrauen in einer Gruppe ist, wie bestürzend es im Leben eines Zimmermädchens sein muß, wenn sie aus Verdachtsgründen zur Kartoffelschälkolonne in den Keller versetzt wird. So, aus diesen traurigen und heiteren Durchschnittlichkeiten, aus den Mittelmäßigkeiten des Alltags, ohne Glanz und ohne Katastrophenwucht, läßt sich genug Filmdramatik schöpfen.
Während freilich bei den FAHRRADDIEBEN de Sicas noch ein gewisses künstlerisches Pathos des Realistischen wirksam ist, leitet hier ein nüchtern-gütiges Wohlwollen allem Menschlichen gegenüber den Blick. Daraus kann vielleicht keine Kunst großen Stils werden, weil dieser Grundzug eben nüchtern, vielleicht schweizerisch-nüchtern, ist: aber dennoch ist das Ergebnis solcher Betrachtungsweise eine Wohltat nach allem, was sich der deutsche Film an falschen und entgleisten Darstellungen unseres Lebens leistet. PALAST-HOTEL ist kein Meisterwerk, aber ein Vorbild, eine gute Antwort auf die Frage: muß der Film den Menschen mit seiner Wirklichkeit uneins werden lassen? Der Mensch sehe sich PALAST-HOTEL an: dort wird er gütig, aber beharrlich auf sein Maß und seinen Alltag zurückgeführt, und da es mit Humor geschieht, kann er sich diese Behandlung wohl gefallen lassen.
R.H.: Ein Film gegen Filme
Die Neue Zeitung (München), 26.10.1952
Eine Frau, die sich redlich durchs Leben schlägt, muß von der Belle Etage, wo sie Zimmermädchen ist, in den Kartoffelkeller des großen Hotels. Doch kann sie später, da ein schwerer Verdacht von ihr genommen ist, die Treppen zurück wieder hinaufsteigen und sich das kleine Häubchen wie eine Krone aufs Haar setzen.
Die Leser der nacht-depesche kennen diese Frau Emilie, ihren kleinen Sohn Walter, die »Frau Hoteldirektor« und Fredy, der vom Koch zum Kellner wird, und den Küchenchef, den schlimmen Oberheizer, den Kellermeister und viele Gäste des »Palast-Hotels« aus dem Roman von Richard Schweitzer, den unsere Zeitung zur Zeit veröffentlicht. Deshalb wird sie der gestern abend im Capitol angelaufene Züricher Film, den die Allianz nach Berlin gebracht hat, ganz besonders interessieren. Und es lohnt sich, ihn anzusehen. Er ist ein gut angelegter künstlerischer Unterhaltungsfilm mit großartigen schauspielerischen Leistungen und einer von den Regisseuren Leonhard Steckel und Emil Bernhard liebevoll herausgearbeiteten schönen Menschlichkeit. Echte Gestalten des Lebens werden auf die Leinwand geworfen.
Die Regie beschränkt sich nicht darauf, den Glanz echten Reichtums und den Talmiflitter der »großen Welt« des Luxushotels in der Umgebung einer märchenhaft schönen Winterlandschaft zu zeigen, sondern schickt die etwas überholt arbeitende Kamera (bis auf eine wundersam aufgenommene Schwipsszene mit Gustav Knuth) auch zu den Telefonistinnen in der Silvesternacht. Das Gesumme und Getriebe der großen Hotelküche bei Hochbetrieb ist ebenso da, wie das große Saubermachen vor Eröffnung der Saison.
Käthe Gold ist Frau Emilie und sie erscheint noch gereifter, nun wundervolle Charakterdarstellerin mit Gesicht und Haltung, in der die Mütterlichkeit der ganzen Welt geadelt ist. Und die geplagte, verzweifelte, kleine Jungenseele bricht so in der schluchzenden Verzweiflung des kleinen Otto Zehnder auf, daß die Menschen im Parkett erschüttert sind und die Augenwinkel feucht werden.
Fredy, der die Kochhosen ausziehen, den Kellnerfrack anziehen und sich wohlgefällig als ein Beau geschniegelt und gestriegelt wie Narziß im Spiegel betrachten darf, ist Paul Hubschmid. Der Mann schlechthin von der Figur her, vom Organ und der ausgezeichnet gespielten unaufdringlichen, drolligen Eitelkeit des Unwiderstehlichen. Sein Schauspielertum bleibt in jeder Szene spürbar. Wenn er sein Kammerkätzchen küßt (wie zur Liebe geboren die rassige Italienerin Lilliana Tellini), bekommt das Gesicht den Ausdruck des schmerzvoll-schönen Leides.
Neben Käthe Gold bestehen Anne-Marie Blanc, die ihr Regiment als Chefin zu führen und ihr Herz als Mensch zu bewahren weiß, die Bettschönheit von Claude Farell und der alte Zimmerkellner von Emil Hegetschweiler. Bei einer Szene, da er das Haus auf der Bahre verlassen muß, decken sich schauspielerische Kunst und Kameraführung mit der sich hinter dem Kranken wie das Tor des Lebens schließenden Fahrstuhltüre.
Eine gefällige Musik mit einem langsamen Walzer vom Glück, das nicht aus dieser Welt ist (woher denn dann?), den Lys Assia schmeichelnd singt, umrahmt das internationale Sprachengewirr mit einem Dialektgemisch, das Gustav Knuth, der herrlichste Kellermeister, der sich denken läßt, komödiantisch auf die Spitze treibt.
Gehen Sie in diesen Film und sehen und erleben Sie, wie
Paul Hubschmid küßt,
Käthe Gold das Mütterliche adelt,
der kleine Walter-Otto schluchzend weint,
ein alter Mann dem Tod entgegengefahren wird,
eine Frau ihre Aufgabe meistert
und Gustav Knuth sich einen anzwitschert. (Sie werden sich danach gleich einen Schoppen genehmigen.)
Rudolf Brendemühl: Palast-Hotel
nacht-depesche [Abendzeitung der West-Berliner SPD-Zeitung Telegraf], 29.10.1952