Der alte Portier versieht seinen Dienst an der Drehtür des Hotels Atlantic mit Leib und Seele. Die prunkvolle Uniform ist sein ganzer Stolz. In dem ärmlichen Viertel, in dem er wohnt, ist er ein angesehener Mann. Doch dann wird er aus Altersgründen ausgemustert und zum Toilettendienst im Keller des Hotels versetzt. Die Uniform muss er abgeben, ein jüngerer und kräftigerer Mann übernimmt seine Stelle. Um seine Würde zu bewahren, entwendet er die alte Uniform, geht fortan morgens darin aus dem Haus, verrichtet dann die demütigende Arbeit als Toilettenmann des Hotels und kehrt abends in Uniform nach Hause zurück. Als seine Nachbarn und die Familie die Wahrheit erfahren, ist er ein gebrochener Mann.
– Die Produktionsfirma zwang Murnau, ein Happy End anzuhängen: Ein Hotelgast vermacht dem Toilettenmann ein Vermögen, und dieser führt als Gast im Hotel ein Leben in Saus und Braus. Als nunmehr reicher Mann behandelt er auch die kleinen Leute mit Respekt.
Carl Mayer, der Autor, nimmt also hier das Thema der HINTERTREPPE wieder auf. Wie damals gibt er das Proletarierdasein nicht als saftiges Stilleben, sondern pathetisiert durch soziales Mitleid.
Echt ist der Zug mit der Livree. Und zugleich allgemein menschlich. Wir alle hängen an der Uniform, die aus uns Standespersonen macht, und wie vielen wird sie zur einzig menschenwürdigen Form des Daseins überhaupt!
Technisch ein Wunderwerk. Nicht daß, wie schon in manchen früheren Werken Mayers, die Zwischentitel entbehrlich geworden sind, ist das Epochemachende, sondern die straffe Dichtigkeit der Handlungsführung. Gradlinig, ohne Verwicklungen, ohne Episoden, aber überall schwellend von bildhaftem Geschehen. Mit höchster Kunst ist alles, die fiebernde Umwelt des Hotels sowohl wie das derbe Kleinleben der düsteren Mietskaserne, konzentriert als seelischer Inhalt der Hauptfigur. Noch wunderbarer, wie nicht nur die Regie Murnaus, sondern sogar die Photographie Karl Freunds sich dem unterschiedlichen Tempo und den verschiedenen Gefühlstönen dieses Seelenlebens anpassen.
Was in älteren Filmen oft künstlich genug durch stilisierte Dekoration oder stilisierte Gebärden angestrebt und meist doch nur unvollkommen erreicht wurde, fließt hier zwanglos aus dem natürlichen Mittel der fortsprudelnden Photographie. Das Unsagbare wird bildlich erfaßt: der lärmende Tratsch der Nachbarinnen, wahrer Daumierfiguren, die Schande der Familie, der Lärm der Straße, das sirrend umlaufende Gerücht im Speisesaal, sogar die grölenden Trompetentöne der betrunkenen Hochzeitsgäste und die dämmrige Trostlosigkeit des Toilettenraums. Träume und Katerstimmung, dumpfe Feindseligkeit und Bewunderung der Kellner, alles blüht bildmäßig auf in immer neuem optisch greifbarem Geschehen.
Zu Jannings’ Lob läßt sich nichts Höheres sagen als: Man denkt niemals an den Schauspieler. Hier, wo er alles an sich reißen, eine erstaunliche Virtuosenleistung hinlegen könnte, bleibt er ganz schlicht und sachlich. Keine überflüssige Lyrik, immer episch die Handlung fortführend, aber stets in Glück wie Leid ein Ganzes. Alle Nebenfiguren treffend besetzt. Ohne Mätzchen, ohne Aufdringlichkeit.
Entwicklungsgeschichtlich ein großer Wurf. Wie im Vorjahr die NIBELUNGEN, wird auch dieser Film manchen bisher Filmfremden bekehren, bezaubern und überzeugen, daß der Film wirklich eine Kunst ist.
Roland Schacht: Der letzte Mann
B.Z. am Mittag (Berlin), 24.12.1924
Das Ganze ist nun in seiner Art einzigartig, durch und durch homogen, stilistisch von letzter Vollendung und also eigentlich unkritisierbar.
Es ist immerfort und doch nicht einen Moment lang realistisch: es ist eben vollkommen aufgelöst in eine ganz homogene, ganz individuelle und deshalb gar nicht definierbare Stilform.
Es setzt in einer Art heroischer Gehobenheit an, fast shakespearisch. Nur ganz an der Oberfläche ist es naturalistisch. Augenblicke wie das Herunterreißen des goldbetreßten Portiermantels erheben sich nahezu zur stilistischen Majestät der Thronentsetzung König Richards II. bei Shakespeare (das herausgebracht zu haben war die mimische Genialität Jannings’).
Aber gleichzeitig beginnt es diese heroische Monumentalität allmählich ins Immaterielle zu transponieren, und zwar einzig und allein durch die – von Karl Freund unglaublich feinfühlig exekutierte – Bewegung des Aufnahmeapparates. Wir beginnen diese Bewegung zu fühlen – sie ist vorsichtigerweise vorerst fast immer irgendwie praktisch begründet durch die Bewegung der Personen oder den Fortgang der Handlung; so schleicht sie sich unvermerkt als das stärkst-bestimmende Element bei uns ein: Das Bild gleitet graziös – wir hören das förmlich; dann wieder schwer, gefesselt, zögernd; manchmal rasch irgendeine Gruppe punktierend und sofort wieder auslöschend, oft (in einer phantastischen Trickaufnahme) einen bestimmten starken Akkord fixierend und aushaltend. So gewinnt es ohne jede Gewalt ganz die Oberhand. […]
Jannings war prachtvoll; eigentlich am prachtvollsten im Überquellen, nicht im eigentlichen Spiel. Ich meine damit: was uns an ihm begeisterte, war dieses herrliche Gefühl, einen Mimiker von überquellendem mimischen Reichtum vor uns zu haben. Auch das war diesmal so außerordentlich günstig: das Konsistente wäre vielleicht auf den ersten Versuch hin nicht aufzulösen gewesen; das Großartig-Dekorative, Schäumende seines Spieles war von Natur aus lockerer, elastischer, leichter aufhörbar. Wer Jannings’ fast unfehlbaren schauspielerischen Instinkt kennt, wird ohne weiteres annehmen, daß es sich hier um eine unterbewußte innere Einstellung zur Sache handelt.
Willy Haas: Der Tag der großen Premiere
»Der letzte Mann« im Ufa-Palast am Zoo
Film-Kurier, Nr. 303, 24.12.1924
Die folgende Kritik aus dem Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokraten zum Filmstart in Österreich dokumentiert, dass dort dem Film zusätzliche Zwischentitel hinzugefügt wurden.
Eine Tragikomödie aus dem Alltagsleben, eine Geschichte, die zu allen Zeiten, an allen Orten geschehen kann, ist dieser Film. Er ist das leidvolle Lied vom Leben des Proleten, den die Gesellschaft schätzt, so lange seine Muskeln straff sind, und den sie fortwirft, wenn sie erschlaffen. Ohne Pathos ist dieser Film schlicht und lebensnah wie sein Thema. Und wahrheitsgetreu ist auch die Schilderung der Umwelt. Die Zinskaserne, die Hausmeisterin, die das Licht auslöscht, die Frauen, die morgens das Bettzeug ins Fenster legen, die Männer, die mit ihren Eßgeschirren zur Arbeit gehen, das ist mit jenem sicheren Blicke gesehen, der das Wesentliche erfaßt, und mit der Technik wiedergegeben, die jedes Bild deutlich zu einem Ausschnitt eines höheren, seiner Größe halber nicht übersehbaren Ganzen werden läßt.
Prächtig das Tempo des Anfangs, der Regenszenen vor dem Hotel (die im Atelier aufgenommen wurden!) und das entsprechende des Endes, da der Hotelportier reich und lustig ist. Von kräftiger Realistik die Typen der Tratschweiber, die Ausbreitung des Tratsches ein Meisterstück der Regie. Hier wurde dem Film am empfindlichsten geschadet, indem man ihn mit Titeln versah. Unseres Wissens hatte er ursprünglich nur den einen erwähnten Titel, der gestrichen wurde. All die andern, die er jetzt enthält, sind völlig überflüssig, ja sie vergröbern den Film stellenweise ganz ungeheuer. Wenn wir wissen, was vorgegangen ist, und zwei Frauen tuscheln sehen, so wissen wir ganz genau, worüber sie reden. Ihre Worte anzuführen, heißt der Deutlichkeit des Bildes oder dem Verstand der Zuschauer mißtrauen, jedenfalls aber die Wirkung verzerren, besonders wenn diese Titel schale Namenswitze enthalten wie hier. Der Regisseur hat alle Mühe darauf verwendet, ohne Zwischentitel auszukommen, und er hat sein Ziel auch erreicht. Wozu verpatzt man sein Werk durch nachträgliche Einfügungen? Hält die Verleihgesellschaft das Wiener Publikum wirklich für so dumm, daß es den Film ohne Text nicht versteht?
Fritz Rosenfeld: Der letzte Mann
Arbeiter-Zeitung (Wien), 26.2.1925