Im Jahr 1907 wird in Berlin das prunkvolle Hotel Adlon eröffnet, am Pariser Platz in unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor. Gleichzeitig beginnt der junge Paul Rippert dort seinen Dienst als Page. Gemeinsam durchleben Hotel und Page – der zum Direktor aufsteigt – die folgenden 38 Jahre deutscher Geschichte. Eingebettet in die fiktive Liebesgeschichte zwischen Paul und der Französin Ninette, folgt der Film den Erinnerungen Hedda Adlons in zwölf Episoden, die jeweils beispielhaft für eine Epoche stehen. Von der Eröffnung durch Kaiser Wilhelm II. über den Ersten Weltkrieg, die »Wilden Zwanziger« und die Inflation sowie die dunkle Zeit des Nationalsozialismus erleben das Hotel und seine Bewohner verschiedene Werte- und Regierungssysteme. Obwohl der Prachtbau die Zerstörung von zwei Weltkriegen unbeschadet übersteht, wütet wenige Tage nach der Kapitulation Berlins 1945 ein verheerender Brand, der das Gebäude weitgehend zerstört. Paul und Ninette sind gezwungen, in einem erhaltenen Seitenflügel einen weitaus bescheideneren Restaurationsbetrieb zu führen. Ganz im Zeichen des Neubeginns lernen sie gemeinsam einen neuen jungen Pagen an.
Es war ein glücklicher Gedanke, die deutsche Geschichte der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts in den Geschicken des weltberühmten Berliner Hotels Adlon sich widerspiegeln zu lassen. […]
Im Gedanken an gar manche fehlgegangene ähnliche Versuche [GELIEBTES LEBEN (1953, Rolf Thiele), SAUERBRUCH - DAS WAR MEIN LEBEN (1953/54, Rolf Hansen)] hatte man etwas Angst vor diesem neuen Film. Man wurde jedoch angenehm überrascht. Dieser Film ist nicht nur gewissenhaft inszeniert, gut gespielt, technisch gut gemacht, er bietet nicht nur glänzende Unterhaltung, sondern man spürt ihm vor allem das Bemühen an, sich mit der dargestellten Zeit ernsthaft und so unparteiisch wie möglich auseinanderzusetzen. Er verzichtet auf die sonst so gerne üblichen kolportagehaften Elemente, trägt vielmehr über weite Strecken hin das herbe Gepräge einer Chronik. Er ist einer der besten zeitpolitischen Filme der Nachkriegszeit und erinnert von weitem an die unvergessene englische CAVALCADE [USA 1933].
D.Sch.: Hotel Adlon
Evangelischer Film-Beobachter, Nr. 37, 15.9.1955
Bei gedämpftem Trommelklang ziehen 40 Jahre deutscher Geschichte durch das Wilhelminische Prachthaus am Pariser Platz von Berlin. Wacht am Rhein, Charleston, die Fahne hoch und Fliegeralarm – was für Jahre, was für eine Instrumentation. Im Drehbuch (Emil Burri und Johannes Mario Simmel) keine dröhnenden Pauken, nur helle und dunkle und schillernde Reflexe. Das ist eine Wohltat. Bei der redlichen Bemühung, bleistiftnotierte Chronik zu beleben, untertreibt der Film. Das macht die Berliner Atmosphäre etwas dünn, die Schicksale manchmal zu Konstruktionen und den Rahmentext zum anonymen Nachrichtendienst. Aber der dezente Geschmack der Regie (Josef von Baky), die eigene Sprache der Kamera (Fritz Arno Wagner) und die gediegene Darstellung heben den Film über seinesgleichen hinaus. Am besten gefiel mir Sebastian Fischer, und am allerbesten seine Partnerin Nelly Borgeaud.
Haf: Hotel Adlon
Münchner Abendzeitung, 23.9.1959
Welch ein Stoff! Prall und vielfältig und dokumentarisch – die Geschichte eines Hotels, eines internationalen Hotels im Herzen einer Weltstadt, bis unter das Dach voller Historie und Schicksal. Monarchen und Grandseigneurs in der Drehtür, Nazis, Kommunisten und Sowjetsoldaten, Gauner, Luxusweibchen und Industrielle, zusammengeweht aus aller Welt, auseinandergetrieben – umgebend von pikfeiner, stets diskreter Atmosphäre erst, später auf den Trümmern der sogenannten großen Welt. Die Geschichte eines Hotels, die zugleich Deutschlands Geschichte ist.
Unmöglich wohl, das alles in einen 90-Minuten-Film zu spannen. Unmöglich auch, an historischer Stätte zu drehen, denn Adlon und Brandenburger Tor sind Ruinen im Ostsektor. Es galt also, das Wichtigste und Interessanteste an Historischem und Menschlichem zu komprimieren.
Die Autoren Burri & Simmel behalfen sich so: sie perlten am roten Faden eines Einzelschicksals Episoden aus vierzig Jahren auf und versahen sie mit allgemeinhistorischen Begleittexten. Der einzigmögliche Weg vielleicht. Aber diesem Film fehlt der Spannungsbogen, er wurde eine Erzählung ohne Drall und Leidenschaft. Es ist, als blättere man in einem großangelegten illustrierten Gästebuch, und irgendein Unsichtbarer erläutert die Situation. Das mag interessant in sich sein, aber das Interesse am Filmablauf weckt es nicht. Der Strom der Zeit plätschert vornehm dahin.
Josef von Baky nun inszenierte recht taktvoll, sauber und korrekt. Er pflegte das Bild, führte seine Schauspieler gut, arrangierte einige schöne Szenen – aber letztlich scheiterte er doch an der gewählten Struktur. Und etwas fehlt diesem Film gänzlich: Atmosphäre. Straßen und Gänge bleiben tot. Es fehlt der Nerv der Weltstadt. […]
Ein Film: vielversprechend genug, breiteste Kreise anzuziehen; sauber genug, auf solide Art zu unterhalten – aber nicht dicht und erregend genug, um zu packen.
Karl-Heinz Krüger: Hotel Adlon
Notizen zu einem neuen Film im Gloria-Palast
Der Abend, 30.9.1955