Im Grand Hotel Boulevard trifft man auf die unterschiedlichsten Menschen und Charaktere. Da ist z.B. ein junger Professor der Medizin, der ein Heilmittel entdeckt hat, aber zur Produktion fehlt das Geld. So stiehlt er aus Verzweiflung den Schmuck einer spanischen Dame. Diese wiederum ist Anarchistin, die einen Anschlag auf einen spanischen Politiker plant. Das Zimmermädchen Anni, nebenbei auch Studentin der Medizin und heftig in den Professor verliebt, kriegt den Diebstahl mit und versucht, es wiedergutzumachen, indem sie den Schmuck versteckt. Der wandert nun von Gast zu Gast, denn keiner will ihn haben. Jeder scheint etwas zu verbergen und Angst vor der Polizei zu haben. Als diese dann während eines Maskenballs eine Razzia im Hotel macht, ist das Chaos groß. Jeder versucht zu entkommen, was wiederum Anni buchstäblich Geld in die Hände spielt, wenn die Fliehenden sie bezahlen, um durch eine Hintertür zu entkommen. Am Ende liegen sich Anni und der Professor glücklich in den Armen.
Querschnitt durch die seltsame Mannigfaltigkeit des modernen Hotelbetriebes!
Jähe Blitzlichter rücken typische Schicksale, zeit-charakteristische Existenzen in grelle Beleuchtung!
Das Hotel wird zum Symbol, Allegorie des eitlen, gottlosen und doch so süßen und berauschenden Taumels unserer Tage!
Bilder und Szenenausschnitte sind nicht mehr spielerische Illustrationen eines konstruierten, gleichgültigen Einzelschicksals, sondern ins Typische gesteigertes, expressionistisch vertieftes, von der Lupe überraschtes Leben!
Hat sich Balázs so seinen neuen Film gedacht?
Höchstwahrscheinlich! Die Ansätze sind unverkennbar.
Guter aber machte einen echten und rechten, kaum von der Schablone abweichenden Publikumsfilm! […]
Gelingt es Dr. Guter nicht, in dem Film uns einen Spiegel unserer hastigen, turbulenten Zeit vorzuhalten, so hat er doch immerhin einen hübschen, amüsanten Spielfilm gemacht. Auch weist der Film eine Fülle gut gesehener Typen und charakteristischer Szenen auf, wie vorübergehend überhaupt die Tendenz zum Allgemeinen und Typischen unverkennbar ist (so die Ökonomie im Konsum von Zwischentiteln!). Doch versteht es Guter nicht, diese Linie durchzuhalten und fällt immer wieder in das Fahrwasser des breit angelegten Spielfilms zurück.
da. [= F. Dammann]: Grand Hotel
Lichtbild-Bühne, Nr. 213, 6.9.1927
Béla Balázs, Autor des Manuskriptes von GRAND HOTEL, hat einen ungewöhnlich dankbaren, immer wieder wirksamen, Publikumsstoff verarbeitet.
Das Leben in einem großen Hotel, die Fülle verschiedenster Eindrücke, der Reichtum an Menschenmaterial ist ein gutes Objekt für Beobachtungen. Der Querschnitt durch ein solches Hotel ist zugleich ein Querschnitt durch das Leben der Zeit. Ein Stoff, vielfältig genug, um von den verschiedensten Seiten angefaßt zu werden.
Dabei leicht zu konzentrieren durch die im Mittelpunkt stehende Person einer Hotelbediensteten, die durch alle Räume geht, die durch Kraft ihres Amtes überall Zutritt hat, an der alle kleinen und großen Ereignisse Revue passieren. Das Stubenmädel mit offenem Blick, der Kellner mit Beobachtungsgabe, das sind die Menschen von heute, vor deren Blick sich Dächer abheben, Menschen, vor denen es kein Geheimnis gibt.
Balázs gruppiert alle seine Manuskript-Figuren um die Gestalt eines Stubenmädels herum. Ohne an die Aufnahmefähigkeit eines großen Publikums höhere Anforderungen zu stellen. Das Stubenmädel ist Werkstudentin, basta. Damit erklärt er ihren ungewöhnlichen Edelmut und ihre Manieren. Damit rechtfertigt er gleichzeitig das happy-ending der Ehe mit einem Professor, der zur Finanzierung einer Krebsserum-Erfindung einen Diebstahl begeht. (Während das Rockefeller-Institut ihm gerade in diesem Spezialfall jederzeit zur Verfügung gestanden hätte. Ich weiß schon, denkt Balázs, »aber weiß das Publikum?!«)
Um den gestohlenen Schmuck herum kommt es zu einem Durcheinander; Rückdiebstahl, Dereliction, Wandern von einer Hand zu anderen. Jeder Neubesitzer tut den Schmuck möglichst schnell wieder von sich, denn niemand hat gerne mit der Polizei zu tun. Alle die feinen Hotelbewohner haben irgend etwas auf dem Kerbholz. Diese Entlarvung einer guten Gesellschaft ist die beste Pointe des Films. […]
Die geglückteste Figur des Ganzen ist eine Messer-Putzerin, die Tag und Nacht ihre Arbeit tut, monoton, unbewegt, selbst zur Maschine geworden. (Wo bleibt übrigens das wirkliche Hotel, mit seinen Gegensätzen, den Glücklichen, die im Licht genießen und den anderen, die im Dunkel schaffen?)
Merkwürdig, daß ein Theoretiker vom Rufe des Béla Balázs nicht imstande ist, wirklich lebendige Menschen zu zeigen, daß es ihm nicht einmal gelingt, einen durchgehenden Stil zu finden. Gesellschaftssatire oder Detektiv-Schlager, Psychologie oder Lust-Spiel, das ist hier angesichts dieser Mischung aus allem die Frage. Häufungen über Häufungen, gewaltsame Lustigkeit, Dehnung anstelle von Spielszenen.
Die Regie führt Dr. Johannes Guter. Man weiß, wie er das macht. Immer gemäß den Intentionen des Manuskript-Autors, zuverlässige Arbeit auf anständigem Niveau.
Hans Feld: Grand Hotel
Film-Kurier, Nr. 210, 6.9.1927
Diesen in den Ufa-Lichtspielengezeigten Ufafilm hat Béla Balázs verfaßt. Dem Manuskript ist anzumerken, daß sein Autor etwas von der Theorie des Films versteht, aber eben so sehr versteht er sich freilich auch auf Kompromisse. Der Schauplatz ist ein großes Hotel, das ja in der Tat durch sein stets wechselndes Publikum Gelegenheit zu allen möglichen Improvisationen gibt, die dem Film gemäß sind. Wie die Figurenschar durcheinandergewirbelt wird, ist mitunter ganz hübsch. Ein dünner Handlungsfaden, dem man anmerkt, daß er von einem Literaten gesponnen worden ist, zieht sich durchs Ganze. Fräulein Anni nämlich, eine hübsche Hotel-Gouvernante, die in Wahrheit eine arme Medizinstudentin ist – Mady Christiansspielt sie als reizendes Persönchen mit brünetten Haaren –, hat sich arg in einen jungen Professor verliebt, der als Dauergast das kleinste Hotelzimmer bewohnt. (Frage: Seit wann wohnen Professoren in solchen Hotels?) Günther Hadankgibt ihn karg, blond, bedeutend. […] Zahlreiches Personal ist aufgeboten, um das Bedürfnis des Publikums nach mondänen und zweifelhaften Existenzen zu befriedigen, die es in einem derartigen Hotel auf Grund von Romanlektüre vermutet. […] Eine anrüchige Gesellschaft; man kann sich an ihrem Glanz erbauen und doch froh sein, daß man nicht so ist. Die Regie hat sich nicht allzu sehr um die Echtheit der Hotel-Hintergründe bemüht. Nett ist die alte Generalin, die in ihrem Zimmer dem Gesang der Kanarienvögel lauscht und infolge ihrer Schwerhörigkeit von dem Treiben auf den Korridoren nichts merkt. Ein Spitzwegbildchen; im übrigen sieht es in einem großen Hotel wirklich anders aus.
Siegfried Kracauer: Grand Hotel …!
Frankfurter Zeitung (Stadt-Blatt), 24.6.1928