Stefan und Valérie, die sich erst seit kurzem kennen, haben in der Schweiz geheiratet und sind auf dem Weg nach England. Da sie die letzte Fähre verpassen, machen sie im belgischen Seebad Ostende Station. In einem feudalen Hotel sind sie nach Ende der Saison die einzigen Gäste. Doch am selben Abend trifft noch ein weiteres Paar ein: die attraktive ungarische Gräfin Bathory mit ihrer ergebenen jungen Begleiterin Ilona. Der Portier glaubt die Gräfin wiederzuerkennen: Sie war vor Jahrzehnten schon einmal Gast im Hotel, scheint aber seitdem nicht gealtert zu sein. Die Gräfin gibt sich als Nachfahrin der legendären Bathory aus, die das Blut von Jungfrauen getrunken haben soll, um ewige Jugend zu erlangen. Gerade hat sich im nahe gelegenen Brügge eine Mordserie an jungen Frauen ereignet, denen das Blut aus dem Körper gesaugt wurde. Im Hotel geraten Stefan und Valérie in den Bann der betörenden Gräfin. Die folgende Nacht werden nicht alle überleben.
— Für den Kinostart in Deutschland wurde eine vom Original deutlich abweichende Schnitt- und Tonfassung des Films erstellt, in der unter anderem das ursprüngliche Ende an den Beginn gestellt und mit einem erklärenden Voice-Over versehen wurde.
Want to see a fascinating vampire movie? Then catch the Belgian-made, English-language DAUGHTERS OF DARKNESS, which arrived yesterday. Subtle, stately, stunningly colored and exquisitely directed by Belgium’s young Harry Kümel, the coscenarist, this is far and away the most artistic vampire shocker since the Franco-Italian BLOOD AND ROSES10 years ago. The censors – on this side of the water anyway – almost crippled that one by yanking out the homosexuality.
The new picture is stronger and better-rounded, with the same double theme intact. Like a poisonous flower, it wafts through the main premises, a huge, coastal hotel off-season, housing a honeymoon couple, two strange women guests and a quaking porter. That is the set-up, and we guarantee that the picture, gliding silkenly into horror, will glue you to your seat.
John Karlen, Daniele Ouimet and Andrea Rau do well, but it is the honey-voiced evil conveyed by Delphine Seyrig, from LAST YEAR AT MARIENBAD, that dominates the footage. If she ever checks into a Hilton Hotel, with the brilliant Mr. Kümel again piloting, that should be quite a picture, too.
Howard Thompson: Artistic Vampires
The New York Times, 29.5.1971
Würde nicht gleich zu Beginn in der vorweggenommenen Schlußszene angedeutet, daß hier ein weiblicher Vampir in seiner Gier nach Blut und Liebe immer neue Gestalt annimmt – aus der folgenden Geschichte ließe sich das kaum erkennen. Zwar geht es geheimnisvoll genug zu und die Personen benehmen sich seltsam; in dem Riesenhotel gibt es außer vier Gästen nur einen Portier, und ein pensionierter Detektiv taucht überall dort auf, wo man ihn nicht vermutet. Aber das alles ist mehr unglaubwürdig als gruselig oder gar spannend. Die ganze Geschichte dient ja auch nur dazu, recht plumpen Sex und Sadismus anbieten zu können. Ein junges Paar auf Hochzeitsreise – ist der junge Mann ein Heiratsschwindler oder ein Werkzeug dunkler Mächte? – bietet die Möglichkeit zu Koitusszenen; dazu gibt es Auspeitschungen, Morde und sehr viel Blut. Aber das alles ist geistig wie formal so weit unter der Niveaugrenze, daß sich eine Beschäftigung mit diesem Filmchen nicht lohnt.
e.h. [=Erika Haala]: Blut an den Lippen
Film-Dienst, Nr. 4, 22.2.1972
Der alberne Titel (BLUT AN DEN LIPPEN) signalisiert serielle Produktion, Schrecken aus der Konfektion, zur Selbstparodie geronnene Versatzstücke von Eckzähnen, Nebelschwaden, Fledermäusen. Mit vergnüglichem Staunen daher gilt es zu registrieren, daß ein veraltetes Genre sich verjüngt hat. Emanzipation für Vampire. Der neue Film des 30-jährigen flämischen Akademieprofessors Harry Kümel, der jetzt in Deutschland angelaufen ist, spottet allen Handlungsklischees Hohn. […]
Mit Dankbarkeit geradezu sieht man hier einen Regisseur sich neuem Terrain zuwenden. Kümel zog aus der spinnwebgespannten Szenerie vergammelter Burgen, zog um in Eisenbahnwaggons, in kleine flämische Städtchen, in die bislang noch nie so schön fotografierte Landschaft um Ostende. Eine kühne Farbgebung – riskant balancierend auf dem schmalen Grat des Erträglichen – tauchte modernes Leben in die Morbidität des Unwirklichen.
Undenkbar im Genre Vampirfilm bisher, ein Ungeheuer, das mit dem »Schrecken aus der Seele« (wie Poe es einmal definierte) nicht das geringste zu tun hat; undenkbar, daß es ohne die Penetranz des vorgefertigten Ablaufs, des besiegelnden Happyends abging. Hier zum erstenmal gelingt es, alte Kinderängste des Allein-im-Dunkel-Seins wachzurufen, Archetypen der Angst zu fixieren, die über die Stereotype des Nervenkitzels weit hinausgehen. Hier deutet erstmals eine verschlissene und ausgeschlachtete Gattung auf ihre eigene psychologische Funktion hin: die Möglichkeit der Identifikation für den Zuschauer, die Möglichkeit, in einer Modellsituation über die eigenen Ängste zu siegen.
Uta Gote: Der Vampir ist eine Lady
Die Welt, 13.3.1972
BLUT AN DEN LIPPEN von dem Belgier Harry Kümel ist ein lesbischer Vampirfilm aus dem Jahr 1970, der Tod ist eine Frau. Mit ihrer Zofe verfolgt sie ein frisch vermähltes Paar. Die Beziehung zu ihrer Zofe – das unterstreicht die Farbdramaturgie – ist ein Spiegelbild der jungen Ehe. Und wenn Cocteaus Wort gilt, daß man in den Spiegeln dem Tod bei der Arbeit zusehen kann, dann sagt das einiges über die Sicht des Films auf heterosexuelle Beziehungen.
Die Lesbarkeit des Konkreten macht aus BLUT AN DEN LIPPEN einen geradezu abstrakten Film. Sie sei nur ein Gedanke, sagt die Vampirin am Anfang, der von Zeit zu Zeit leibliche Gestalt annimmt. Die kristallenen Lüster in den Innenräumen und das kalte Licht des Winters verleihen den Formen eine gläserne Härte, die die abstrakte Unwirklichkeit der Atmosphäre noch verstärkt. Im Kontrast zur Fleischlichkeit der nackten Körper, zur Hitze beim Sex, zur ständigen erotischen Verlockung, beginnen die Bilder zu knistern.
Die Verkörperung dieser Elektrizität ist die statuarische Schönheit von Delphine Seyrig (LETZTES JAHR IN MARIENBAD), die aus müder Eleganz und lustvoller Verlockung besteht. Wenn sie dann mit platinblondem Haar im spiegelnden (!) Silberlamé-Kleid dasteht, dann scheint sie sich in Licht aufzulösen, zu einem Gedanken zu zerfließen. Dann weiß man: Das Kino ist eine Frau.
malt: Spiegel der Gedanken
Süddeutsche Zeitung, 26.5.1986