Eine Kleinleute-Pension in Berlin. Eine junge Frau besucht dort ihren Freund und erfährt, dass ihm eine neue Stelle in Dresden angeboten worden sei, zu der er am nächsten Tag abreisen müsse. Allerdings ist er sich nicht sicher, ob er die Stelle auch annehmen soll, bedeutet es doch den Abschied von seiner Freundin. Nachdem diese den anfänglichen Schock überwunden hat, rät sie ihm schließlich zu. Dann geht sie nochmal fort und verrät nicht wohin. Sie will ihn am letzten Abend mit einem neuen Hut überraschen. Doch er ist wegen ihrer schnellen Zustimmung zu seiner Abreise misstrauisch geworden und findet dann auch noch einen Namen und Adresse in einem Buch von ihr. Nicht wissend, dass es sich dabei um den Hutmacher handelt, reist er Hals über Kopf ab, zusätzlich rasend gemacht von der klatschfreudigen Wirtin, die seine Eifersucht mit allerlei Andeutungen anstachelt. Die junge Frau kommt zurück und findet das Zimmer ihres Freundes leer vor.
A small boarding house in Berlin. A young woman is visiting her boyfriend and finds out that he has been offered a new job in Dresden and he will have to leave the next day. Realizing that it means he has to say goodbye to a woman he loves, he is not sure if he should take the job. Once they have both overcome the initial shock, she says he should take the job. Shortly afterwards, she quietly leaves without telling anyone where she is going. Her goal is to surprise him on their last night together with a new hat. But after her quick acceptance of his departure and her disappearance, he becomes suspicious and discovers a new name and address in her book. Not knowing it is the name and address for the hatter he begins to come apart at the seams and a gossip-loving landlady incites his jealousy even further with all sorts of suggestions. When the young woman comes back, her boyfriend’s room is empty.
Die weite Welt liegt so weit entfernt dem Milieu dieses Films, daß wir nicht einen Augenblick ein Stück Himmel, einen Baum, eine Straße sehen, sondern nur immer und immer die engen, dumpfen, muffigen Zimmer und Korridore in der Berliner Kleinleute-Pension Weber. […]
Robert Siodmak, der in MENSCHEN AM SONNTAG, ebenso arm an Handlung, aber reicher an Menschen und Atmosphäre, das Leben kleiner Großstadtleute am Feiertag zeigte, hat nun in ABSCHIED am stärksten von allen bisherigen Regisseuren erfaßt, wie sehr und wodurch der Tonfilm vom stummen Film und vom Theater sich scheidet. […]
Man erblickt niemals Theaterszenen, sondern mittels unablässig wandernder Kamera trostlose Wände und Winkel, zwischen denen zerfledderte, nervöse Menschen geistern. […] Da werden Menschen unbarmherzig herangeholt in filmischen und akustischen Großaufnahmen. Man erlebt eine sadistisch-spielerische Liebesszene des Pärchens, dann sieht man nur ein Tischstilleben mit abbrennender Zigarette und hört dazu den Dialog der Liebenden, die man nicht mehr sieht, aber dafür umso deutlicher in der Phantasie schaut. Oder: Großaufnahme des eifersüchtigen Jünglings, der etwa fragt: wie oft warst du mir in den drei Jahren untreu? Und man hört, ohne das Mädchen zunächst zu sehen, ihre Stimme: Eins, zwei, drei, vier … da wandert die Kamera zu dem Mädchen, das Wäsche in den Koffer des Freundes packt und weiterzählt: fünf, es war doch noch ein Hemd da. So sind meisterhaft und musterhaft aus den spezifischen Mitteln des Tonfilms seine Wirkungen entwickelt. Effekte solcher Art konnte weder das Theater, noch der stumme Film erzielen.
Sicherlich: Siodmaks Tonfilm ist manchmal gewaltsam, manchmal quälend, einseitig und absichtlich auf jedes freundliche Licht und naheliegendes happy end verzichtend. Aber er ist ein bedeutender, selbständiger Fortschritt. Ein Fortschritt auch in der Führung eines sinnvollen, quatschlosen Dialogs, ein Fortschritt auch in der tonfilmischen Bindung von Sprechen und Mimik.
Das ist umso mehr anzuerkennen, als alle Darsteller, bis auf zwei, zum ersten Male auftreten. Die zwei sind Emilia Unda, klar und scharf die forcierte Freundlichkeit und übertünchte Falschheit der geschwätzigen Pensionswirtin herausarbeitend, Sokolow als verluderter, verarmter Osteuropäer mit Edelseele. […]
Film, Regisseur und Darsteller erhielten den Beifall eines Publikums, das fühlt: hier beginnt der Weg oder doch ein Weg zum wirklichen Tonfilm.
K.P. [= Kurt Pinthus]: Abschied
8-Uhr-Abendblatt (Berlin), 26.8.1930
Siodmak, gestern noch ein unbekannter Regisseur, ist heute bereits bei der Ufa. Man sieht ein, daß man den Kreis erweitern muß. Immer die alten Filmlieblinge, die sich auf die Hacken treten, immer wieder der Turnus der Stars – man will Aufmischung, neue Gesichter, neue Talente. Die Außenseiter dringen in die geheiligten Bezirke. Werden die Außenseiter aufmischen oder werden sie »eingemischt« werden? Das ist die Frage.
ABSCHIED gibt darauf noch keine Antwort. Robert Siodmak stellt in jedem Bilde seine Begabung unter Beweis, seine schildernde, milieuzeichnende, charakterisierende und karikaturistisch verschärfende Begabung. Aber auch seine Widerstandskraft? Wenn zum Schluß das verlassene Mädel, von der ganzen Pension mit Klatsch und Bedauern umgeben, im Stuhl sitzt – so sind die Pensionäre noch wahr, aber das Mädel ist schon Großaufnahme des Filmstars. Wenn der Liebhaber sinnend aufgenommen wird, so wird ein neuer Willy Fritsch oder Harry Liedtke gestartet. Wenn das Textbuch (von E. Preßburger und J. v. Cube) die Personen selbst schildert, gut; wenn es sie zur Handlung – verbindet (Sokoloff) – schlimm.
Nun die Tonregie. Es wird noch viel zu gleichmäßig gesprochen. Immer langsam, in derselben Lautstärke (wie man früher im Radio sprach), zu breit, zu gleichmäßig, zu ermüdend. Es wird auch zu viel geredet. Es wird jedes Geräusch, an das man sich in der Wirklichkeit längst gewöhnt hat, und das man deshalb nicht mehr hört, aufgenommen. Türschlagen, das Hinsetzen einer Kaffeekanne – wer achtet darauf im Leben, im Theater? Warum im Tonfilm? Diese Geräusche dürfen nur hörbar sein, wenn sie dramaturgisch eine Situation akzentuieren. Auswahl, Auswahl! Differenziertes Sprechen, Näherkommen und Abschwellen des Tones, gleitende Geräusche, Beweglichkeit!
Die neuen Gesichter. Brigitte Horney hat eine gewisse Berühmtheit, weil sie Reinhardts Schauspielschulpreis bekommen hat. Ihr Gesicht ist ausdrucksfähig, ihr Typus angenehm und verwendbar. Ihre Sprache noch zu gewichtig. Aribert Mog: er muß sich entscheiden, ob er ein Großaufnahmen- oder ein Ensembleschauspieler werden will. Emilia Unda als Wirtin: gut, aber herkömmlich und im Ton zu gleichmäßig. Konstantin Mio: eine Type. Frank Günther: ein spitzbübisches Gesicht, ein ulkiger Ton, aber schließlich auch konventionell breit und bewußt »deutlich«. Das ist falsch. Martha Ziegler: drastisch, eine Type, aber nicht nur der Zufall eines Gesichts, sondern auch Gestaltung. (Im Ton zu gleichmäßig.)
Das Ganze: ein Anfang, ein Versuch. Deshalb zu bejahen. Aber Selbstkritik und Widerstandsfähigkeit.
Herbert Ihering: Abschied
Berliner Börsen-Courier, 26.8.1930