Tschetan, der Indianerjunge
Die Geschichte zweier Außenseiter in Montana um 1880. Der Schäfer Jakob Precht, genannt Alaska, sucht ein Winterquartier für sich und seine Herde. Er begegnet einem Rancher, der den Indianerjungen Tschetan gefangen hat, den er als Viehdieb hängen lassen will. Alaska kann den Jungen heimlich befreien. Er will, dass er ihm bei der Arbeit hilft, was der schweigsame Tschetan nur widerwillig tut. Eines Tages kann der Junge fliehen und kehrt in sein Indianerlager zurück, doch dort sind alle getötet worden. Alaska findet ihn und hilft ihm, die Toten traditionell zu bestatten. Der Junge geht mit Alaska zurück, langsam bauen sie Vertrauen zueinander auf und freunden sich an. Als der Rancher herausfindet, dass der Indianerjunge bei Alaska ist, überfällt er die beiden mit seinen Söhnen. Alaska und Tschetan können den Angriff zwar abwehren, doch sie fliehen aus dem Tal, da sie wissen, dass der Rancher nicht aufgeben und wieder zurückkehren wird.
The story of two outsiders in Montana around 1880. Shepard Jakob Precht, nicknamed Alaska, is looking for winter quarters for himself and his flock. He meets a rancher who plans to hang Tschetan, an Indian boy for rustling and stealing. Alaska secretly frees the boy and wants Tschetan to work for him, but the taciturn boy only reluctantly helps him. When Tschetan finds the opportunity to flee, he returns to his Indian camp, only to find that everyone there has been killed. Alaska finds him and helps him lie out the dead according to his tribe’s tradition. The boy then goes back with Alaska and slowly they open up to each other and become friends. When the rancher finds out that the Indian boy is with Alaska, he and his sons attack them. Alaska and Tschetan can defend themselves, but knowing that the rancher won’t give up they leave the valley.
Ein Western, der in den oberbayerischen Bergen gedreht wurde. Ein deutscher Indianerfilm. Daß hierzulande aus diesem spezifisch amerikanischen Genre mehr zu machen sei als nur ein Surrogat aus dritter Hand, wer hätte das noch geglaubt? [...]
Tschetan, der Indianerjunge erzählt eine einfache Westerngeschichte, ohne vordergründige Effekte, vor allem auch ohne der im jungen deutschen Film verbreiteten Sucht nach Zitaten und Anspielungen auf große Vorbilder nachzugeben, psychologisch subtil, aber auch spannungsreich, gewiß mit einem Hang zu romantischer Gefühligkeit, die aber nie aufgesetzt wirkt. Zwei Außenseiter, ein Indianerjunge und ein Schäfer, lernen im gemeinsamen Kampf gegen einen Rancher gegenseitiges Verständnis und Achtung des anderen, die Überwindung der rassischen und kulturellen Gegensätze und schließlich auch des Altersunterschieds. An die Stelle des anfänglichen Herrschaftsverhältnisses zwischen den beiden treten Freundschaft und Gleichberechtigung.
Bohm geht hier freilich nicht mit einem wohlfeilen Anliegen hausieren. All das entwickelt sich aus den Situationen, den Angelpunkten seiner Geschichte, den Figuren selbst. [...]
Mit viel Einfühlung charakterisiert Bohm die beiden in ihrem Verhältnis zur Umwelt. Die Landschaft, die Tiere, all das, dem sie begegnen oder mit dem sie hantieren, legt ihre Eigenheiten bloß. Marquard Bohm spielt den Alaska ganz unverkrampft, mit intensivem Ausdruck, aber ohne große Gesten. Der kleine Kalmücke Dschingis Bowakow ist der Glücksfall eines noch unverbildeten Kinderdarstellers: Mit der gleichen natürlichen Gewandtheit meistert er mutige Reitszenen und karge, mehr mit den Augen als mit den Worten ausgetragene Dialoge. Daß man manchmal merkt, mit welch beschränkten finanziellen Möglichkeiten Bohm diesen Film realisierte, tut der Sympathie für seine Fabulierfreude keinen Abbruch.
Wolfgang Ruf: Nicht nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer
Die Zeit, Nr. 26, 22.6.1973
Wer etwas für diesen Film, einen Erstling, übrig hat, sollte mit dem Wort »Western«, nur weil er in Montana spielt und es um einen Indianerjungen geht, vorsichtig umgehen. Falsche Erwartungen könnten geweckt werden.
»Western«, ob gut oder schlecht, arbeitet mit harten Effekten. Die Gewalt wird als tötender Faktor ins Bild gebracht, und die Spannung als stete Anwesenheit von Tod erzeugt.
Bei Hark Bohm ist die Gewalt in den Figuren des Ranchers und seiner Söhne, die den Schäfer Alaska nicht dulden wollen, auch vorhanden. Aber als latente Drohung liefert nicht sie die Voltzahl des Films, sondern etwas ganz anderes: die Beziehung zwischen dem Indianer und dem Schäfer, der ihn, den kleinen Viehdieb, aus den Händen des Ranchers gerettet hat.
Wie kommen die beiden miteinander zurecht? Das ist die simple und, geben wir es zu, herzbewegende Frage. Hark Bohm hat Mut zum Gefühl. Nacht, Lagerfeuer, verhaltene Gespräche aber am Sentimentalen (»Jetzt ist mein Herz tot«) schippert er im letzten Augenblick gerade noch vorbei.
Die Westernelemente sind nicht getilgt. Warum auch? Den fernen Westen als Paradies für den starken Einsamen (am mächtigsten allein) variantenreich eingebracht zu haben, ist auch ein Verdienst des Kameramanns Michael Ballhaus. Das Pferd, das Reiten, Inbegriff der Freiheit, spielt seine verführerische Rolle. Es wird auch verfolgt und geschossen. Aber all das erhält keinen Eigenwert.
Zwei Modelle schieben sich vor: Truffauts Enfant sauvage und Robinson und Freitag. In beiden Fällen aber beginnt »Erziehung« am Nullpunkt. Tschetan (der Falke), ein geflohener Reservatsindianer, aber war in die Schule gegangen, spricht die Sprache der Weißen. Was er erlernen muß, ist also nicht Zivilisation, sondern das Auskommen mit den Mördern seiner Sippe.
Was der Weiße mitbringen muß, ist die Überzeugungskraft, daß die Farbe noch nicht den »Mörder« macht, aber daß gleichwohl er, der Mächtigere, wiewohl persönlich unschuldig, die größere Geduld, das weitere Herz, die liebendere Nachsicht aufzubringen hat. Bohm hat sich auf ein Terrain mit tausend Problemen eingelassen. Der Film wurde dabei zu einem glaubwürdigen Gleichnis. Mehr kann man nicht fordern.
Jörg Ulrich: Tschetan, der Indianerjunge
Münchner Merkur, 23.6.1973