Jaider der einsame Jäger
Als Western inszenierter Neo-Heimatfilm über einen bayrischen Wilddieb um 1875. Nach dem deutsch-französischen Krieg kehrt Jaider wieder in seine Heimat zurück. Dort herrschen Armut und Arbeitslosigkeit und so wird Jaider zu einem gefürchteten Wilderer, der allerdings Sympathie und Schutz der Bevölkerung genießt. Er und seine Bande werden von den Jägern des Grafen und vom Militär verfolgt. Besonders gnadenlos hetzt ihn der Jäger Baptist Meyer, ein ehemaliger Kriegskamerad, der nicht davor zurückschreckt, Jaiders Geliebte hinterrücks zu töten. Jaider kehrt auf Rache sinnend ins Dorf zurück, wo Soldaten die Kirche umstellt haben, in der seine Geliebte aufgebahrt ist. Er kann den Soldaten zwar entkommen, doch Meyer verschleppt seinen Bruder Georg und foltert ihn, indem er ihn an eine Scheunenwand kreuzigen lässt. Als Jaider dazukommt, sperrt er Meyer in die Scheune und setzt sie in Brand.
A western style "Heimatfilm" about a Bavarian folk hero around 1875. After the Franco-German war Jaider returns to his homeland, which is stricken by poverty and starvation. He becomes a dreaded poacher, but nevertheless has the sympathy and protection of the people. The Count’s hunters and the military chase him and his followers. The meanest among them is Baptist Meyer, a former war comrade of Jaider's, who doesn't hesitate to kill Jaider's lover. Seeking revenge Jaider comes into the village, where soldiers are guarding the church, in which his deceased lover is laid out. He manages to escape the soldiers, but Meyer kidnaps his brother Georg and tortures him by crucifying him on a barn door. When Jaider arrives, he locks Meyer into the barn and sets it on fire.
Man muß sie kennen, die Ostermeier-Heimatfilme mit ihren rauschbärtigen Patriarchen und keuschen Dirndln, die Ganghofer-Dramen mit ihrer Blut- und Bodenromantik, den Seitz-Klamauk mit den bayerischen Paradedeppen Beppo Brem und Oskar Sima, um zu spüren, mit welchen Veränderungen das einzig genuine deutsche Filmgenre, der sogenannte Heimatfilm, heute eine vehemente Renaissance erfährt. Die Landschaften, Berge, Wälder und Seen, die dem Förster vom Silberwald und seinen Kollegen als konkrete Spiegelung ihrer eigenen, jenseitshörigen Innerlichkeit galten, sind bei Schlöndorff, Hauff, Brandner bestenfalls einfach vorhanden, als eine austauschbare Umwelt, deren Verklärung dadurch desavouiert wird, daß die Kamera nicht mehr farbselig an ihr entlangschwenkt, sondern sich auf die Menschen und ihre sozialen Bedingungen richtet. Der neue deutsche Heimatfilm repetiert nicht länger die Illusion einer im gesellschaftlichen Vakuum erreichbaren Selbstverwirklichung durch Naturverbundenheit.
Die ersten Bilder von Jaider lassen da noch einmal vertraute Assoziationen aufkommen, aber nur um sie durch den Kommentar endgültig zu zerreißen: Herrliche bunte Totalen, Wälder im Gegenlicht, Seen mit idyllischen Inseln, breite, reine Flußbetten: »Das ist die Sonne des Grafen. Das sind die Wege des Grafen. Das sind die Wasser des Grafen. Das sind die Wälder des Grafen. Das sind die Menschen des Grafen.« Wer hier lebt, ist Eigentum, Objekt der Ausbeutung. Wer sich dagegen sträubt, hat hier nicht zu leben und auch nicht anderswo. Jaider kehrt aus dem Siebziger-Krieg zurück in seine Heimat, die eben nicht die seine ist, in eine Feudalstruktur, die ihn in den Krieg geschickt hatte, nur um sich ungestört weiterhin gegen ihn richten zu können. »Der Krieg ist vorbei. Wir brauchen jetzt Polizisten statt Soldaten«, sagt der Oberst zum Grafen. Mit diesen wenigen, aber prägnanten Andeutungen skizziert Vogeler das politisch-soziale Klima, in dem sich nun ein altbekanntes Westerndrama abspielt, der Kampf eines einzelnen gegen die tausend Fäuste und Gewehre des Gesetzes.
Vogeler hat mehr bei Corbucci gelernt als bei Ostermeier. Sein Jaider gleicht eher Django als dem Förster vom Silberwald verschlossen, wortkarg, einsam, zäh, versteinert. Ein rebellischer Held, dem keine Alternative bleibt, es sei denn, er will sich in die Reihe der debilen und senilen Bettler stellen, die sich an der Klosterpforte unter dem mißtrauischen Blick des Jagdaufsehers ihr täglich Süpplein holen.
Dieser Jagdaufseher hat es zu seiner Sache gemacht, seinen ehemaligen Kriegskameraden zur Strecke zu bringen. Er lockt ihn in einen Hinterhalt und schießt ihm in den Rücken. Dank der Pflege der Leute, die ihn verstecken, überlebt Jaider diesen Anschlag. Hier nun bricht der Film plötzlich mit seiner politischen Intention, indem er allen folgenden Aktionen das Motiv der höchstpersönlichen Rache gibt. Die Kreuzigung von Jaiders Bruder, die Ermordung eines Jägers, die tödliche Folterung eines Wilderers, all die ausführlich dargestellte Grausamkeit dieses Kampfes weist nicht mehr auf ihren gesellschaftlichen Anlaß hin, sondern verselbständigt sich in der Eskalation des Hasses. Vogeler verzichtet zugunsten von Reizen, die das Westerngenre bietet, auf die völlige Transparenz des Schicksals seines Helden. Wenn der Jagdaufseher Jaiders Freundin erschießt, wirkt diese Grausamkeit gerade weil sie so detailliert gezeigt wird wesentlich härter und direkter als jene, die die gesellschaftliche Struktur bedingt. Gewalt, die aus Gewehren kommt, wendet sich, nicht mehr gegen Gewalt aus den Amtsstuben, sondern wird zur Waffe in einem Duell, dessen Kontrahenten nichts mehr treibt als der Haß gegeneinander. [...]
Jaider ist dank Vogelers karger, konzentrierter und attitüdenloser Regie ein brillantes Stück Kino, das heißt der Film weist nicht über sich hinaus. Er zerstört keine Mythen, sieht man einmal vom Anfang des Films ab, sondern adaptiert die Topologie des Italowestern für bayerische Verhältnisse. Bezeichnend, daß Vogeler nicht wie Schlöndorff und Hauff die dialektische Möglichkeit der Sprache als Mundart und Amtsdeutsch benutzt, sondern seine Schauspieler im Hochdeutsch sprechen läßt. Hier hat sich der neue deutsche Heimatfilm weg von der politischen Parabel, weg auch von der Kritik dieses Genres und dessen Weltbild zu einer genießbaren Neufassung und Weiterentwicklung emanzipiert. Vogeler hat den Heimatfilm nicht auf den Kopf gestellt, wie er sagt, sondern ihn erst richtig auf die Beine gebracht.
Wolfgang Limmer: Der Bajuwaro-Western...
Süddeutsche Zeitung, 12.6.1971