Blauvogel
Nordamerika 1755. Engländer, Franzosen und Indianer kämpfen erbittert um das Land. Mittendrin lebt die englische Siedlerfamilie Ruster und rodet ihr Land, um es zu bebauen. Eines Tages wird George, der 9-jährige Sohn der Familie, von Irokesen verschleppt. Er wird an Stelle eines verstorbenen Indianerjungen im Stamm aufgenommen und erhält dessen Namen Blauvogel. Zunächst widerwillig lernt er langsam die Gebräuche und Sitten der Irokesen kennen und wird schließlich Teil des Stammes. Als englische Soldaten das Indianerlager angreifen und ein Massaker anrichten, prägt sich dieses Erlebnis tief in Blauvogel ein. Sieben Jahre später ist der Krieg zwischen Engländern und Franzosen vorbei und die siegreichen Engländer fordern alle Geiseln der Indianer zurück. So kehrt Blauvogel als junger Mann in seine alte Familie zurück, aber ihm ist die Welt der Weißen vollkommen fremd geworden.
North America 1755. The British, French, and Indians are fighting fiercely to claim territories as their own. Innocently in the middle of it all, the English family Ruster is clearing their land to cultivate it. One day, the Iroquois kidnap their 9-year-old son George. He is taken into the tribe to replace a dead Indian boy and given his name, Blauvogel. Reluctant at first, he learns the customs and culture of the Iroquois and finally becomes part of their tribe. When English soldiers attack the Indian camp and commit a massacre, the experience is branded into Blauvogel’s mind. Seven years later, when the war between the French and British is over and the victorious British reclaim all hostages from the Indians, Blauvogel returns as a young man back to his old family, only to realize that the world of the white men is no longer his own.
Machen wir uns nichts vor: Wer hört, daß ein Indianer-Film ins Kino kommt, der erwartet Reiterei im Wilden Westen mit federschmuckstrotzenden edlen Apachen, bis auf vornehme Ausnahmen, landräuberisch-wortbrüchigen Weißen und einer deftigen Rekonstruktion der Schlacht am Blauen Berge. Und genau das wird ihm in der filmischen Begegnung mit dem DEFA-Adoptiv-Indianer Blauvogel nicht geboten...!
Die DEFA ließ nämlich mit Autor-Regisseur Ulrich Weiß einen neuen Häuptling das Kriegsbeil ausgraben, und der begab sich mit überraschenden, weil eben ungebräuchlichen strategisch-taktischen Vorstellungen auf den Kriegspfad. Tatsache ist, daß sein Film über »Blauvogel« in Realisierung seines Anspruchs seriöser und gediegener wirkt als alle DEFA-Indianer-Romantik vorher, daß aber mancher dieser Streifen als reiner Abenteuerfilm leichter verbrauchbar war. [...]
Ein junger Mensch also ist da, ungefragt, zwischen zwei Fronten geraten, zwischen zwei Lebensauffassungen, zwei Lebensansprüche, zwei Möglichkeiten, das Leben zu realisieren. Soll er nicht dazwischen zerrieben werden oder gar zerrissen, muß er sich entscheiden. Die eine Seite verkörpert angestammtes Recht und eine sich möglicherweise darin begründende höhere Moral urgesellschaftlicher Prägung, die andere Seite aktive und auch aggressive Aufschließung eines Weltteils im Sinne kommenden Kapitalismus, also historischen Fortschritts. Emotionale Bindungen und angenommenes Rollenverhalten erschweren zusätzlich den Schritt in die eine wie in die andere Richtung. [...]
Blauvogel ist beim großen Manitu kein vollkommener Film, aber der doch in vielem interessante Versuch, einer reichlich klischeebelasteten Sorte Film neue Akzente zu setzen.
Günter Sobe: Der indianische Kreidekreis?
Berliner Zeitung, 14.12.1979
Blauvogel ist bekannt und beliebt bei jung und alt. Anna Jürgens' gleichnamige Erzählung ist ein Bestseller seit vielen, vielen Jahren; 22 Auflagen erschienen bislang. Die freudige Neugier der zahllosen Leser auf den Leinwand-Blauvogel dürfte also groß sein. Wird sie gestillt? Dem Rezensenten fließt keine eindeutige Antwort aus der Feder. Für ihn ist Blauvogel ein Film, der zwiespältige Eindrücke hinterläßt. Einerseits beeindrucken Ernsthaftigkeit und Kunstfertigkeit der filmischen Interpretation, andererseits verstimmen ihre Veräußerlichung und manche Unausgeglichenheit.
Von dem neunjährigen Siedlerjungen George Ruster, der während des englisch-französischen Krieges in Nordamerika 1754 von Irokesen entführt und adoptiert wird, erzählt der Film. Ulrich Weiß schrieb und inszenierte ihn, wie er sagte, als »Indianerfilm, in dem es um die Identität von Menschen, Rassen und Völkern geht«. Damit ist bereits der hohe ideelle wie ästhetische Anspruch dieser Arbeit formuliert, die sich von den bisherigen elf Babelsberger Indianerfilmen in mehrfacher Hinsicht unterscheidet. Weiß meidet das landläufige Schema vom direkten Zusammenprall, von der blutigen Auseinandersetzung zwischen Indianern und Weißen. Ihn interessiert, wie der kleine George ganz allmählich in den Irokesenstamm hineinwächst, wie er die im Elternhaus beigebrachte Ich-Bezogenheit überwindet und sich den Gemeinschaftssinn des Schildkrötenclans aneignet und wie er Jahre später, nach seiner Heimkehr, mit Vater, Mutter und Geschwistern bricht. Ein Prozeß des Anderswerdens, des Sichzurechtfindens wird verfolgt: Viele hintergründige Szenen deuten an, wie George sein Heimweh und die Fluchtgedanken überwindet, sich zu der neuen Familie bekennt, im Denken und Handeln ein Irokese wird. Doch sein späterer Bruch mit dem Elternhaus ist nicht gleichermaßen zu verstehen. Die ins Bild gebrachten sozialen Äußerlichkeiten Wohlstand, Borniertheit und Rassendünkel der einstigen Siedler reichen nicht aus, diese folgenschwere Entscheidung und ihre Motive überzeugend anschaulich zu machen.
Regisseur und Drehbuchautor Ulrich Weiß zeichnet mit viel Akribie ein präzises Bild vom Leben und den Riten der Irokesen. Doch bei aller bewundernswerten ethnografischen Sorgfalt und Plastizität fehlen wichtige Informationen über die progressive Stammesorganisation, die dem Urkommunismus verwandte gemeinschaftliche Lebensweise der Irokesen. Sie sind auch kaum in ihrer Individualität erfaßt, haben als mystische Masse zu agieren. Deshalb ist Georges gänzliches Hineinwachsen in den Bund schwer nachfühlbar, die Annahme der Gepflogenheiten, vor allem aber sein eindeutiger Entscheid gegen das frühkapitalistische Gebaren des Elternhauses, das einem unbedingten Bekenntnis zur Moral der Indianer gleichkommt. Es bleibt die Frage, worin letztlich das Wesen dieser Überlegenheit besteht.
Bei aller Schönheit und Sinnlichkeit der Bilder, Kamera Otto Hanisch, die Landschaft und Indianerrituale mitunter beeindruckend wiedergeben: Der Regisseur bedient sich einer stilisierten, statuarischen, auch verfremdenden Erzählweise, die Distanz schafft. Häufig wirkt sie so bemüht und angestrengt, daß Anteilnahme nicht möglich ist. Von den Siedlern, den Indianern und besonders den Soldaten geht eine eigentümliche Fremdheit aus, die den historischen Abstand betont, Emotionen im Betrachter unterdrückt. Lediglich der kleine George, von Robin Jaeger mit Intelligenz und Natürlichkeit gespielt, wird zu einer Figur, die einem nahe ist.
Hans-Dieter Tok: Ein weißer Irokese
Wochenpost (Berlin), 4.1.1980